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Eine ukrainische Journalistin erzählt von ihrer Flucht

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Lyudmila Bohun floh am 26. März 2022 aus der Ukraine in die Schweiz. Heute lebt sie in Tafers. Über ihre Flucht hat die ukrainische Journalistin einen Film gedreht. Die FN haben sie in Freiburg getroffen. 

«Russische Streitkräfte haben Anfang März 2022 bei acht Angriffen auf die Stadt Tschernihiw im Nordosten der Ukraine zahlreiche Zivilistinnen und Zivilisten getötet und verwundet. Vier dieser Angriffe, sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus, verstiessen eindeutig gegen das Kriegsrecht. Dazu gehörten die Bombardierung eines Wohnkomplexes, bei der 47 Zivilistinnen und Zivilisten getötet wurden, ein Angriff, bei dem mindestens 17 Menschen in einer Brotschlange vor einem Supermarkt ums Leben kamen, und zwei voneinander unabhängige Angriffe, bei denen zwei Krankenhäuser beschädigt wurden, einschliesslich eines Einsatzes verbotener Streumunition.»

Das berichtete Human Rights Watch im vergangenen Juni. 

Angst und Panik

Am 24. Februar frühmorgens wurde Lyudmila Bohun von Explosionen und Schüssen geweckt. Zusammen mit ihrem Mann und zwei ihrer drei Söhne lebte sie bei Kriegsausbruch in Tschernihiw. «Wir hatten Angst und waren in Panik, weil wir nicht wussten, was geschieht.» Doch bald war klar, dass das Unglaubliche eingetreten war: Russland hatte die Ukraine angegriffen.

Weil wir kein Auto hatten, um die Stadt zu verlassen, suchten wir sofort einen Raum, in dem wir uns bei Luftalarm verstecken konnten.

Die Männer hätten derweil damit begonnen, sich in Gruppen zur territorialen Verteidigung zu organisieren. «Viele von ihnen hatten schon vergessen, wie man eine Waffe bedient, weil es schon zu lange her war, dass sie Wehrdienst geleistet hatten», erzählt die 52-Jährige. Sie erinnert sich an einen jungen Mann, der sich mit einer Kalaschnikow in der Hand einem russischen Panzer entgegengestellt hatte und dabei weinte und zitterte. «Er wusste nicht, was er tun soll.» Bohun laufen die Tränen über die Wangen.

Die ersten Tage verbrachte die Familie praktisch nur im Keller. Doch irgendwann sei es zu kompliziert geworden, die Kinder jedes Mal zu wecken, wenn es in der Nacht Luftalarm gab. «Es gibt eine Zwei-Wände-Regel: Sie besagt, dass die äussere Wand vor der Druckwelle schützt und die innere vor Splittern.» Und so habe sie beschlossen, mit den Kindern nachts in der Wohnung zu bleiben und im Gang auf dem Boden zu schlafen – stets griffbereit ein gepackter Rucksack und wichtige Dokumente. Tagsüber machte sich die Journalistin jeweils auf, um die Ereignisse in der Stadt zu filmen. Wenn sie wieder nach Hause kam, ging ihr Mann zu Alten und Bedürftigen, um ihnen zu helfen. 

Grosse Solidarität

«Unsere Männer leisteten eine Woche lang Widerstand. Als die Russen merkten, dass sie nicht weiter in die Stadt vordringen konnten, warfen sie Bomben.» Vor allem auf Elektrizitäts- und Wasserversorgungswerke, aber auch auf ein paar Wohnhäuser, ein Krankenhaus und andere Gebäude. «Es kam zu Hamsterkäufen, die Regale in den Läden waren fast leer, und langsam bekam ich Panik, dass ich für die Familie nichts mehr kochen kann.» Gleichzeitig sei die Solidarität unter den Menschen sehr gross gewesen. «Wir trafen uns im Treppenhaus, wir trugen Nahrungsmittel zusammen, machten draussen ein Feuer und kochten zusammen.»

Die beiden Söhne, damals 8- und 16-jährig, hätten den Ernst der Lage nicht wirklich erkannt, sagt Bohun rückblickend. «Es war für sie nicht real. Erst jetzt weinen sie manchmal.» Immerhin hätten sie keine Gewalt und Blut sehen müssen. Doch ohne Strom und Heizung wurde die Lage zusehends ungemütlich:

Es war kalt, wir hatten kein Wasser und nur wenig zu essen. Am 18. März habe ich gemerkt: Ich kann nicht mehr!

Lyudmila Bohun (rechts) erzählt von ihrer Flucht. Dolmetscherin Yulia Baumann übersetzt ins Deutsche. 
Charles Ellena

Abschied vom Mann

Lyudmila Bohun arbeitete bis zum Kriegsausbruch als Chefredakteurin bei einer Zeitung in Slawutytsch. Sie berichtete auch immer wieder über die Folgen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Dabei habe sie festgestellt, dass es auch Jahre nach der Katastrophe noch viele Unklarheiten gibt und viele Informationen manipuliert sind. «Ich wollte das ändern und gründete einen Blog.» Ein Blog, der notabene von sehr vielen Russen gelesen worden sei. Und so kam es, dass ein russischer Leser ihr und ihren Söhnen zur Flucht verhalf. 

Ihr Mann blieb zurück. Er kämpft bis heute an der Front. «Das Abschiednehmen, mit dem Gefühl, dass dies vielleicht für immer ist, war schwer.» Und dennoch sei es klar gewesen, dass ihr Mann ihr Land verteidigen wolle. «Und es war ebenso wenig eine Frage, dass es meine Pflicht ist, unsere Kinder zu beschützen. Ich glaube, mein Mann war erleichtert, frei für den Kampf zu sein, indem er uns in Sicherheit wusste», sagt Bohun.

50 Jahre Leben

Mit mehreren Bussen fuhren sie und ihre Kinder zusammen mit anderen Flüchtlingen auf Umwegen Richtung Kiew. Jeder konnte nur einen Rucksack mitnehmen. «50 Jahre Leben in einem Rucksack!» Sie passierten eine Strassenblockade, die unmittelbar danach angegriffen wurde. «Ich habe zurückgeschaut und gesehen, dass alle Wachtmänner tot sind. Alle, die mit uns im Bus waren, hatten grosse Angst. Den weiteren Weg mussten wir sehr schnell und ohne Stopps fahren.» In der Stadt Riwne angekommen, übernachteten sie in einer Kirche, wo freiwillige Helfer sie fragten, ob sie nach Polen wollten. «Ich habe mir gedacht, das ist gut, es ist egal, wohin wir fahren, Hauptsache weg.»

In Polen angekommen, kamen sie zunächst in einem Flüchtlingslager und später in einer Gastfamilie in Warschau unter. Polen sei zu jenem Zeitpunkt voll von Flüchtlingen gewesen, erzählt Bohun. Auf Facebook habe sie gelesen, dass ein Bus extra für die Ukrainer in die Schweiz fahre. Gleichzeitig habe sie über Bekannte erfahren, dass jemand in München eine Wohnung anbiete. «Als ich die Tickets nach München kaufen wollte, habe ich festgestellt, dass ich sie mir nicht leisten kann.» Sie erzählt:

Und so habe ich mir gedacht, wenn es nicht Deutschland sein soll, dann ist es eben die Schweiz. Die Sterne haben mir den Weg gewiesen.

Ankunft in der Schweiz

Eine Woche lang waren Lyudmila Bohun und ihre Söhne unterwegs. «Als wir in Freiburg ankamen, wartete dort schon die Gastfamilie aus Alterswil.» Sie sei dankbar gewesen, endlich angekommen zu sein. «Ich hatte keine Kraft mehr, mich noch irgendwo hinzubewegen.» Zunächst sei es irgendwie seltsam gewesen, in einer ganz fremden Familie in einem fremden Haus zu wohnen. «Gleichzeitig war ich erstaunt, wie Fremde so offen und hilfsbereit sein können, mehr als die eigenen Verwandten.»

Nach fünf Monaten zogen Bohun und ihre Familie in eine eigene Wohnung in Tafers. Der ältere Sohn besucht den Integrationskurs der Gewerblichen und Industriellen Berufsfachschule und der jüngere die Primarschule Tafers. Obwohl sie schon einigermassen integriert seien und

sich dank der eigenen Wohnung auch ein bisschen heimisch fühlten, möchten sie nach Hause. «Die Gedanken und die Seele sind immer noch dort, nur der Körper ist hier.» Bei ihrer Flucht hätte sie nicht gedacht, dass sie länger als zwei Monate wegmüssten. Jetzt ist es schon fast ein Jahr. «Du fragst dich ständig, wann kommt das Ende?» Manchmal müsse sie plötzlich weinen. Lyudmila Bohun ist deswegen in psychologischer Behandlung. Auf die Frage, ob sie unglücklich sei, sagt sie:

Nein, unglücklich ist das falsche Wort. Aber so lange in meiner Heimat der Krieg andauert, kann ich mich nicht glücklich fühlen.

Sie glaube aber fest an einen Sieg der Ukraine und daran, dass auf sie eine glückliche Zukunft warte.

Serie

Ein Jahr Krieg in der Ukraine

Am 24. Februar ist es ein Jahr her, dass russische Truppen in die Ukraine einmarschiert sind. Damit hat ein Krieg angefangen, der Tausende von Opfern forderte – und es immer noch tut – und ein Viertel der Gesamtbevölkerung zur Flucht trieb. In einer Serie fragen die FN unter anderem nach, wie es den Menschen geht, die zu uns in den Kanton Freiburg geflüchtet sind und sich mittlerweile an eine ganz neue Normalität gewöhnen mussten. im

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