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In diesem Stadion gibt es keinen Fussball

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In diesem Stadion gibt es keinen Fussball

Wie in Warschau aus einem sozialistischen Wahrzeichen ein multikultureller Basar wurde

Das «Stadion Dziesieciolecia» im Warschauer Stadtteil Praga, einst stolzer Repräsentationsbau des polnischen Sozialismus, ist seit über zehn Jahren Osteuropas grösster Basar. Neben über 5000 Marktständen gibt es auf dem «Jarmark Europa» eine russische Leihbücherei, einen eigenen Polizeiposten und eine eigene Mafia.

Von ISABELLE VONLANTHEN*
(Text und Bilder)

Am wechselhaften Schicksal des «Stadion Dziesieciolecia» (Stadion des Jahrzehnts) kann man gut die Geschichte Polens und seiner Hauptstadt verfolgen. Das Stadion wurde mehrheitlich aus den Trümmern der während des Warschauer Aufstandes von 1944 zerstörten Häuser aufgebaut und konnte pünktlich zum zehnten Jahrestag des Kriegsendes 1955 eingeweiht werden. Bis zu 100 000 Zuschauer konnte das Stadion, das einen Fussballplatz und eine 400-Meter-Leichtathletikbahn beherbergt, fassen. Während der Zeit der kommunistischen Volksrepublik Polen war es Austragungsort für nationale und internationale Fussballspiele, sozialistische Sportveranstaltungen, Konzerte, Massenversammlungen und wichtige Staatsjubiläen.

Bei einer solchen Feierlichkeit anlässlich des Zentralen Erntedankfestes verbrannte sich 1968 auf der Tribüne ein polnischer Beamter und ehemaliger Soldat der Heimatarmee, Ryszard Siwiec. Er wollte damit gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei protestieren, doch die polnischen Medien verschwiegen den Vorfall, und Siwiec’ Protest blieb unbemerkt. 1983 sprach in diesem Stadion der polnische Papst Johannes Paul II. zu Hunderttausenden von Menschen über den «moralischen Sieg des Volkes». Im gleichen Jahr wurde der Betrieb des Stadions aus technischen Gründen aufgegeben. 1989 vermietete die Stadt Warschau das zerfallende Stadion an die Firma DAMIS, die darin mit dem «Jarmark Europa» einen der grössten europäischen Basare schuf.

Bohrmaschine oder Maschinenpistole?

Heute wuchert zwischen den Rängen des Stadions das Unkraut, die Holzsitze vermodern, und die Arena verschlammt. Aber auf der Galerie und rund um das Stadion drängen sich die Zelte, Bretter- und Blechbuden. 5000 Stände sind registriert, viele illegale kommen noch dazu. Bei einem Rundgang durch die Stände stösst man auf kiloweise russischen Kaviar, geschmuggelte Zigaretten, Küchengeräte, Sonnenbrillen, Fahrräder, Musikinstrumente, sowjetische Offiziersmäntel, Werkzeuge und so weiter. Neben dem Kleinhandel mit Kosmetika, Lebensmitteln und Kleidern blüht der Handel mit Raub-CDs und illegaler Computersoftware.

Auch Drogen und Waffen sollen hier zu kaufen sein. In polnischen Zeitungsartikeln wird gern die Geschichte vom Ausländer wiederholt, der mittels Gestik eine Bohrmaschine zu erstehen versuchte und dem man eine Maschinenpistole präsentierte. Im Stadion befindet sich denn auch ein eigener Polizeiposten, und die Firma DAMIS hat zwei Sicherheitsdienste angestellt. Aber vor allem reguliert sich das Stadion selbst: Es soll von einem siebenköpfigen unterirdischen Vorstand regiert werden, zusammengesetzt aus Vertretern der Nationen, die die meisten Verkäufer
stellen: Vietnamesen, Armenier, Ukrainer, Russen, Tschetschenen, Bulgaren und Georgier.

Weberschiffchen

Ein grosser Teil der Händler im «Jahrmarkt Europa» rekrutiert sich aus den ehemaligen sowjetischen Republiken. Die Händler und Händlerinnen werden «tschelnoki» genannt, Weberschiffchen. So schaut ihre Existenz aus, mit Bus oder Zug und grossen karierten Tragetaschen pendeln sie zwischen ihren ehemals sowjetischen Provinzstädten und Warschau hin und her. Einige von ihnen sind arbeitslos oder in Rente, viele sind Akademiker, die von ihrem Lohn nicht leben können.

Die Rentnerin Kaleria Michailowna, früher Leiterin der Poliklinik in der russischen Stadt Pensa (700 Kilometer östlich von Moskau), fährt einmal alle zwei Monate mit ihrer Freundin nach Warschau, um auf dem Basar gebrauchte Uhren, Gewürze, Putzmittel und anderes zu verkaufen. Die ehemalige Musiklehrerin Swetlana Anatoljewna aus Brest hat zunächst auch mit solchen Waren gehandelt. Dann fing sie an, an ihrem Stand auch russische Literatur – Klassiker, zeitgenössische Literatur, Unterhaltungsromane – zu verkaufen. Daraus hat sich mittlerweile eine Leihbücherei entwickelt für die Tausenden von russischsprachigen Händlern, die nach dem Ende des Verkaufstages gegen zwölf Uhr mittags viel Zeit totschlagen müssen. Die Polin Grazyna, die ihre Matrioschkas an einem richtigen Stand verkauft und nicht wie die meisten ihre Ware nur auf einem Tuch auf dem Boden ausbreiten kann, bezieht ihre Ware über einen russischen Importeur. «Zu mühsam und zu gefährlich» wäre es für sie, die Fahrt nach Russland selbst zu unternehmen.

Reise nach Asien

Als der deutsche Schriftsteller Alfred Döblin 1924 Warschau besuchte, meinte er bei seiner Fahrt über die Weichselbrücke, auf der anderen Seite die Steppen der Wolga und ein sich aufbäumendes Asien zu sehen. Seit jeher trennt die Weichsel «Polen A» und «Polen B», den reicheren polnischen Westen vom armen Osten. In den letzten Jahren hat dieses «polnische Asien» eine neue Form angenommen, in Gestalt von vietnamesischen und chinesischen Einwanderern, die vermehrt nach Polen kommen. Jeder hundertste Warschauer soll heute ein Vietnamese sein.

Die vietnamesischen Händler verkaufen auf dem Basar Kleidung, Lebensmittel, asiatisches Gemüse, das von anderen Immigranten auf den Feldern um Warschau angepflanzt wird. Sie wohnen teils in Buden im Stadion selbst oder teilen sich winzige Wohnungen in den Aussenbezirken der Stadt. Die Kinder dieser ersten vietnamesischen Einwanderergeneration wurden bereits in Warschau geboren, sie gehen an die Schule, an die Uni und sprechen ein akzentfreies Polnisch. Ausser dem Verkauf an den Marktständen läuft das Leben dieser vietnamesischen Gemeinschaft fast ohne Berührungspunkte mit der polnischen Bevölkerung ab. Das wollen einige jetzt ändern. So fand am Anfang dieses Monats unter dem Titel «Reise nach Asien» ein künstlerisches Projekt statt, das den Warschauern ihre unbekannten Nachbarn näher bringen will. Interessierte wurden mit Anweisungen auf einem MP3-Player in das Labyrinth des Basars geschickt, wo sie vietnamesischen Händlern beim Ausladen und Verkaufen von Waren halfen, ihre Lebensgeschichten kennen lernten und am Schluss den nahe gelegenen buddhistischen Tempel besuchen durften.

Ungewisse Zukunft

Blickt man vom Oberring des Stadions auf die andere, bessere Seite der Weichsel, sieht man dort die Spitze des Kulturpalastes inmitten der in den letzten Jahren aus dem Boden geschossenen gläsernen Hochhäuser. Während dort internationale Firmen die nächsten Investitionen im östlichen Markt planen, scheint die Zeit des europäischen Basars in Praga langsam abzulaufen. Schon seit Jahren überlegt sich die Warschauer Stadtverwaltung, was weiter mit dem Stadion passieren soll. Im Augenblick sind zwei Varianten aktuell: Erhalten Polen und die Ukraine den Zuschlag für die EM 2012, für die sie gemeinsam kandidieren, soll das «Stadion Dziesieciolecia» zu einem modernen Nationalstadion umgebaut werden. Die zweite Variante sieht die Entstehung eines Jugendzentrums für arbeitslose Jugendliche unter dem Namen «Strassenuniversität» vor.

Es gibt auch das – wenig wahrscheinliche – Gerücht, dass das Stadion abgerissen und an seiner

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