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Der Stuhl

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

«Ihr habt aber viele Stühle», sagte mal ein Freund unseres Sohnes, und er hatte nicht unrecht. Ich mag Stühle. Dabei bin ich gar keine Gernsitzerin, ich bevorzuge nämlich Stehen, Gehen, Liegen. Menschen, die tagelang in Büros sitzen müssen, habe ich immer bemitleidet, was passiert da mit einem Körper und Geist? Sind da gute Sitzgelegenheiten hilfreich?

 

Und jetzt ging ich über eine Brocante und sah einen Stuhl, einen ungewöhnlichen Stuhl, am Strassenrand. Mir schien, er war nur ein Teil von einem Ganzen und doch ganz. Ihm fehlte aber irgendwie ein Gegenüber … das ich, die Betrachterin, dann kurz wurde, überrascht und angezogen von diesem Objekt. Es war ein Beichtstuhl. Deshalb mein spontanes Gefühl, wo ist das Gegenüber, und dann auch die Faszination, ein Objekt so zweckentfremdet herumstehen zu sehen, ein Objekt, das eine andere Vorgeschichte gehabt haben musste, eine abgeschirmte, stille, intime, beschattete.

 

Verbraucht – durchgekniet, dachte ich – stand es auf kurzen vier Beinen mit bodennaher, verblichen gepolsterter Sitzfläche, will sagen Kniefläche, und einem ebenfalls gepolsterten Kästchen auf der Breite der Rücklehne für die Arme. Nicht katholisch erzogen, hatte ich meine ganz persönlichen Gedanken und Empfindungen zur freien Verfügung: Wessen Knie und Arme haben diese stabilen Polster gedrückt? Wessen Leiden und Nöte wurden auf diesem Stuhl an welches Gegenüber offenbart? Beim heutigen Wissen um Kirchengeschichte konnte ich nur wünschen, dass menschlich wertvolle Gegenüber diesen Stuhl willigen Beichtern zur Verfügung stellten.

 

Kirchenstühle widerspiegelten uns immer die Welt­hierarchien. Kirchenväter-Stühle zeigten doch sehr wohl, dass das Laiengestühl, die Sitzgelegenheit für Gläubige, auf tieferem Stand, einfacher und unbequem zu sein hatte. Verschiedene Throne von Kirchenfürsten kamen mir in den Sinn, die ich aus Filmen oder vom Lesen kannte, und der Stuhl, vor dem ich immer noch stand, erschien mir immer tiefer, und mir wurde mulmig. Ich beschloss, mal einen katholisch erzogenen Menschen zu den Stuhlgeschichten zu befragen – und ich beschloss, den Stuhl zu kaufen. Er kostete sozusagen nichts.

 

Jetzt hab ich diesen Stuhl und weiss nicht einmal, wie ein Beichtakt eigentlich vor sich geht. Den kindlichen Gedanken hatte ich als Mädchen auch – meine Cousinen und Cousins waren katholisch: Beichten ist praktisch, man bekommt alles Ungute verziehen und ist wieder nur okay, kann wieder loslegen. Ich für mich finde eine Selbstbefragung von Zeit zu Zeit etwas Nötiges, manchmal auch Lustiges und Interessantes, und sie wäre eigentlich nicht nur für Katholiken sinnvoll.

 

Jetzt habe ich diesen Stuhl, einen mehr, habe aber nicht die Absicht, ihn in irgendeiner speziellen Weise zu gebrauchen. Mal schauen, ob er sich den andern Stühlen von uns einpasst. Ich glaube, kein Möbelstück wurde begeisterter gefeiert, mit kaum einem andern Objekt haben sich Architekten und Designer so gern beschäftigt und auseinandergesetzt, wie mit dem Stuhl. So wurde er auch zum Industrieprodukt der Moderne. Und ich, begeisterte Stuhlliebhaberin, verfolge gern ab und zu neue Design- und Materialent­würfe. Stühle vermögen einem Arbeitsplatz wie einem Privatraum einen gewissen Status zu geben, das ist schnell erkennbar. Einen Stuhl entwerfen, heisst vielleicht auch eine Gesellschaft en miniature schaffen? Der berühmte Architekt der Moderne, Mies van der Rohe, hat gesagt: «Es ist schwerer, einen guten Stuhl zu bauen als einen Wolkenkratzer.»

 

Wir alle, tägliche Stuhlbenützer, sind anatomisch unterschiedlichster Art. Das heisst, wir wünschen uns eine für unsern Körper stimmige Sitzstütze. Das kann schon bald einer Art Lebensstütze gleichkommen, wenn wir mit einer Sitzgelegenheit körperlich und psychologisch zurechtkommen. Wenn Form und Materialien eine Verbindung schaffen mit uns als Benutzer, in emotionaler, intellektueller, ästhetischer, kultureller und vielleicht sogar in spiritueller Hinsicht. Da wir nicht mehr kauern oder hocken, sind wir für unsere Tätigkeiten essen, lesen, reisen, warten, mit Menschen kommunizieren, im Büro arbeiten eine totale Liaison mit dem Stuhl eingegangen. Ohne Stuhl funktioniert die Gesellschaft nicht mehr. Und wenn wir morgen kauern müssten?

 

Einen neuen Stuhl ­suchen wir uns aus, indem wir ihn ­be-sitzen, vor dem Kauf. Er sollte das Gewicht unseres Kopfes, den Oberkörper, das Becken und die Hüftknochen tragen und stützen, das scheint primär, doch eine grosse Bedeutung in unserer Gesellschaft gilt ja der Demonstration von Macht und Ansehen. Da stehen wir den Kirchenfürsten nicht viel nach. Ob ein tatsächlicher oder Möchtegern-Status, Stühle können gut dazu benutzt werden, das Ego zu stützen und Status zu demonstrieren. Feinste und schlechte Designs werden sicher weiterhin entworfen, und Ikonen wird es aus diesem oder jenem Grund geben.

 

Mein Beichtstuhl hat mich über Stühle und Gesellschaft nachdenken lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass er eine Ikone wird. Oder ist er das schon? Ob ich das positiv oder negativ sehen soll?

Sus Heiniger ist Kunstmalerin und lebt in Murten. Als FN-Gastkolumnistin schreibt sie regelmässig zu selbst gewählten Themen.

 

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