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Zwischen Aufbruch und Verdrängung

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Deutschland 1945: Nach Kriegsende liegen die deutschen Städte in Trümmern. Gegen 40 Millionen Entwurzelte sind unterwegs: Ausgebombte, Flüchtlinge und Vertriebene, entlassende Zwangsarbeiter und Häftlinge und Abermillionen von zurückkehrenden Kriegsgefangenen. Von einer «Wolfszeit» sprechen die Zeitgenossen: Jeder schaut für sich, das knappe Essen kommt vor der Moral. Wer überleben will, klaut Kohlen und Kartoffeln. Eine Praxis, die mitten im «Hungerwinter» 1946 sogar der Kölner Kardinal Josef Frings von der Kanzel herab als überlebensnotwendig verteidigt. Worauf «Fringsen» flugs zum Synonym für Klauen wird.

In einer Ausnahmesituation

Der Journalist Harald Jähner hat mit «Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945–1955» ein fesselndes Sachbuch über die chaotischen Nachkriegsjahre geschrieben, das sich an ein breites Publikum richtet.

Jähners Augenmerk gilt dabei nicht der Politik, sondern dem Alltag der Deutschen: Vom mühsamen «Enttrümmern» der Städte, vom Lieben, Klauen und Handeln auf dem Schwarzmarkt erzählt er, vom «multikulturellen Schock», den die Vertriebenen aus dem Osten in den deutschen Dörfern auslösten, und von den Umerziehungsprogrammen der Alliierten. Mit eindrücklichen Beispielen und vielen Originalzitaten macht er die Geschichte eines Jahrzehnts lebendig, das vielfältiger und widersprüchlicher war, als es im Rückblick oft wahrgenommen wurde.

So sei die Nachkriegszeit keineswegs «bitterernst» gewesen, schreibt Jähner. Im Gegenteil: Die Freude am Überleben habe sich in einer «regelrechten Tanzwut» geäussert, Tanz­lokale seien in den Städten aus dem Boden geschossen. Und schon 1946 zog durch die Ruinen der entvölkerten Stadt Köln wieder ein Karnevalsumzug.

Breiten Raum räumt Jähner der Geschichte der Frauen ein. Für sie war der Krieg ein Emanzipationsschub: Notgedrungen hatten sie während der Abwesenheit ihrer Männer die Familien durchgebracht und das öffentliche Leben am Laufen gehalten. Die lang erhoffte Rückkehr ihrer Männer aus Kriegsgefangenschaft wurde für viele zur herben Enttäuschung: Viele Kriegsheimkehrer kamen nicht mit dem neuen Selbstbewusstsein ihrer Frauen klar und beharrten auf ihrer Rolle als «Hausvorstand», die sie – versehrt an Körper und Seele – häufig aber überhaupt nicht mehr wahrnehmen konnten. Zermürbende innerfamiliäre Kleinkriege und Scheidungen waren die Folge.

Dass ausgerechnet in diesen Jahren die Erotik-Pionierin Beate Uhse ihr «Fachgeschäft für Ehehygiene» lancierte, war kein Zufall. Als Folge von Kriegstraumata, Gefangenschaft und Hungerschäden litten viele Männer unter Impotenz.

Schweigen über den Holocaust

Überraschend und schockierend ist, dass die Ermordung der europäischen Juden in der Nachkriegszeit schlicht kein Thema war. Die Deutschen verdrängten den Holocaust und sahen sich selbst nicht als Täter, sondern als Opfer Hitlers. Diese kollektive «Entschuldung», schreibt Jähner, sei «empörend» und anmassend gegenüber den Opfern. Für die Etablierung der Demokratie in Westdeutschland sei sie jedoch eine vermutlich unausweichliche Voraussetzung gewesen. Sie habe nämlich die mentale Grundlage für einen demokratischen Neuanfang gelegt.

Harald Jähner: «Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945–1955». Rowohlt, 2019.

Stephan Moser ist Journalist und freier Rezensent.

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