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So erlebte ich die Maidan-Proteste in Kiew vor genau 10 Jahren

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Wladimir Putin erzählt noch heute die Lüge vom «Nazi-Staatsstreich» – doch wer Anfang 2014 monatelang mit pro-europäischen Demonstranten in Kiew in der Kälte ausharrte, kennt die Wut der Ukrainer auf Korruption und die Arroganz der Macht. Ein Rückblick von  Osteuropa-Korrespondent Paul Flückiger.

Als die ersten Schüsse der Sondereinheiten des Innenministeriums über den Kiewer Maidan peitschen und die ersten Demonstranten niedersacken, soll der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch in seiner Villa zufrieden sein goldenes Brot bestrichen haben. So erzählt es der Führer beim Rundgang durch die frühere Präsidentenvilla.

Janukowitsch, der einstige Kleinkriminelle aus Donezk, war in seinen vier Jahren im Amt in den Olymp der Macht aufgestiegen. Sogar Kreml-Chef Wladimir Putin schien zufrieden mit ihm. Der russische Einfluss über die Ukraine schien gesichert, der raffgierige und korrupte Janukowitsch gekauft.

Doch in den vier Tagen danach verlief plötzlich nichts mehr nach Plan. Die Ereignisse, die folgten, brannten sich tief in Putins Gedächtnis ein. So tief, dass er heute noch die Lüge eines US-finanzierten «Nazi-Staatsstreichs» erzählt – gerade wieder im Interview mit dem US-Moderator Tucker Carlson.

Die Maidan-Proteste beginnen

Vor zehn Jahren hatte Moskau noch gute, deutsche Lobbyisten in Brüssel. Einer davon lädt Korrespondenten nach Kiew ein zu einem Interview mit Janukowitschs Premier, dem später nach Russland geflohenen Mykola Azarow. Ich fliege Hals über Kopf via Riga hin.

Der farblose Premier erklärt im «Blauen Palast», warum Kiew tags zuvor am EU-Gipfel von Vilnius, am 29. November 2013, entgegen aller Versprechen doch nicht unterschrieben habe und warum es für die Ukraine «noch zu früh» für das EU-Assoziierungsabkommen sei. Was er verschweigt, sind Kreml-Morddrohungen gegen die ukrainische Führungsriege.

Ein paar hundert Meter weiter haben sich vor ein paar Tagen Studenten auf dem Maidan mit EU-Flaggen versammelt. Nach dem Interview schlendere ich am Studenten-Protest vorbei zum Europa-Platz, wo eine Pro-EU Demo der Opposition stattfindet. Dort soll auch die Rockband «Kosak System» auftreten. Doch statt des Konzerts formiert sich ein Marsch, angeführt von Witali Klitschko. Die Leute ziehen auf den nahen Maidan und verbrüdern sich mit den Studenten.

Aus dieser Demo Ende November 2013 ging der Euromaidan hervor, jener breite Protest der prowestlichen Zivilgesellschaft, der drei Monate später zu vorgezogenen Präsidentenwahlen und einer neuen proeuropäischen Regierung führte. Aber auch der russischen Annexion der Halbinsel Krim und zum Krieg im Donbass gegen prorussische Separatisten. Und acht Jahre später zur russischen Invasion in der ganzen Ukraine.

Doch das alles war an jenem Spätherbsttag nicht abzusehen. Nur Putin und sein Statthalter Janukowitsch wussten bereits: Wenn es zu prowestlichen Protesten kommen sollte, dann «muss» die USA dahinterstecken. Denn für Politiker ihres Schlages hat das Volk keine eigene Stimme.

Mit Steinschleudern gegen Polizisten

Zwei Wochen später wird es erstmals wirklich ernst mit den Protesten. Eine halbe Million Menschen sind auf dem Maidan, und ich bin erneut in Kiew. In der Innenstadt brennen die ersten Barrikaden. Der Geruch von Reifengummi und Teer liegt in der Luft. Zum Regierungsviertel hin haben die Demonstranten eine Steinschleuder wie im Mittelalter aufgebaut. Damit will man sich im Notfall gegen die schwerbewaffneten Berkut-Sondereinheiten wehren. Diese Demonstranten sollen von den USA ausgerüstet sein? Eher hat ihnen Wilhelm Tell geholfen als die Atommacht USA.

Noch aber ist alles friedlich. Im Zelt der «Ersten Hundertschaft» lerne ich Anatol kennen, den umtriebigen Anführer, einen Bauingenieur um die Vierzig. Bei Tee und Borschtsch-Suppe diskutieren wir in den folgenden Tagen immer wieder die Zukunft der Ukraine ohne Korruption und ohne Russen in den Ministerien. Anatols Freundin träumt ganz banal von einer Reise in die EU ohne Visum.

Wie einst bei den Kosacken in der Südostukraine wird die Zivilverteidigung des Maidans in Hundertschaften eingeteilt. Als Anarchisten eines Abends die «Schwarze Hundertschaft» auf die Beine stellen, treffe ich erstmals gewaltbereite Aktivisten, teils des «Rechten Sektors», die die Staatskritiker vom Maidan vertreiben. Deutsche Korrespondenten wollen in ihnen eine ukrainische Neo-Nazi-Terrortruppe sehen. Putin mag solche Medienberichte.

Bei meinem nächsten Kiew-Besuch im Januar gehe ich dieser Sache auf den Grund. Ich treffe jüdische Maidan-Aktivisten und einen Russen, der mich auf eine Hochzeitsfeier mit einer zierlichen Kämpferin des «Rechten Sektors» einlädt. Geheiratet wird wenige Schritte vom Maidan, die Ukrainerin ehelicht einen sibirischen Ureinwohner. Chaim, mein jüdischer Gewährsmann, ein Kiewer Lokalpatriot, versichert mir, dass dieser Kampf von David gegen Goliath alle Ukrainer eine. Und dass keine Juden auf einem Nazi-Maidan mitmachen würden.

Zum ersten Mal eskaliert die Gewalt

Nun sind auch die ersten Toten zu beklagen. Ein Armenier und ein Weissrusse wurden von Sicherheitskräften erschossen. Betroffenheit und Angst in der Maidan-Zeltstadt sind gross, und Pessimismus macht sich breit. In einem feucht-kalten Zelt der Maidan-Revolutionäre sehe ich Take-Away-Fertigsuppen, die aus den USA stammen könnten. Ausländisches Geld kommt Tropfenweise an. In der «Ersten Hundertschaft» zeigt mir Anatol heimlich eine Pistole. «Für den Notfall», sagt er. Patronen hätte er noch keine erwerben können.

Wie immer in Kiew seit dem Jahr 2001 übernachte ich im «Hotel Ukraina», das nun innerhalb des von der Staatsmacht de facto befreiten Maidan liegt. Wer dort wohnt, muss zwei aufständische Barrikaden passieren. Das Code-Wort bei deren Wächtern heisst «Slawa Ukrainii – Es lebe die Ukraine!» «Ruhm und Ehre den Helden!», antworten diese. Manchmal wird noch ein Blick in den Reporter-Rucksack geworfen. Es ist wie ein Spiel, doch wir Berichterstatter im Hotel Ukraina sind nun auch Teil des Maidans.

In der Lobby des Hotels wurde in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2014 ein behelfsmässiges Lazarett für die Teilnehmer der Maiden-Proteste – auf Ukrainisch: der «Revolution der Würde» – eingerichtet. Das Hotelpersonal umsorgte Hunderte angeschossene Demonstranten.

Rund 100 Maidan-Teilnehmer wurden von Scharfschützen erschossen. Sie werden heute als «Himmlische Hundertschaft» in der ganze Ukraine verehrt. Getötet wurden bis 22. Februar 2014 auch 15 Polizisten. Die meisten Maidan-Morde bleiben unaufgeklärt, teils weil sich Mitglieder von Janukowitschs Sicherheitskräften nach Russland abgesetzt haben.

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