Als die britische Philosophie-Professorin Kathleen Stock erklärte, dass das Geschlecht biologisch bedingt sei, begann für sie ein Spiessrutenlauf sondergleichen. Sie wurde als transphob gebrandmarkt, erhielt haufenweise Morddrohungen und wurde an der Uni von vermummten Gestalten verfolgt, bis sie schliesslich zurücktrat. In Deutschland wird Winnetou aus den Regalen geholt, Kruzifixe werden aus öffentlichen Lokalen entfernt und Ottos frühere Filme und Witze vom NDR mit Warnhinweisen versehen.
Hierzulande scheint es noch nicht so schlimm zu sein. Aber der Konzertabbruch der Band Lauwarm in der Brasserie Lorraine in Bern lässt nichts Gutes erahnen. Mancherorts wird schon diskutiert, ob man an der Fasnacht Kinder mit einem mexikanischen Sombrero oder als andere Nationalität auftreten lassen darf. Kürzlich hörte ich eine Diskussion darüber, ob die Lieder von Louis Armstrong von Weissen gesungen werden dürfen.
Woke ist spürbar im Anmarsch. Bald einmal weiss man nicht mehr, was man noch denken und sagen darf. Als ich in einem Vortrag sagte, dass wir an unseren Schulen teils heftige Integrationsprobleme haben, wurde ich von einer Gruppe sofort zum Ausländerhasser, Flüchtlingsleugner (was ist denn das?) und Rechtspopulisten gebrandmarkt. Und als ich kürzlich äusserte, dass der Ukrainekrieg eine Vorgeschichte hat, war ich auf der Stelle ein naiver, himmeltrauriger Putinversteher.
Woke: Was einst als gute Idee – der Schutz von Minderheiten – entstand, hat sich zum Wahnsinn entwickelt. Kleine, militante Gruppen – nicht selten auch Einzelne – erheben sich zur moralischen Instanz für alle andern. Wahr ist, was ins eigene Konzept passt, die eigene Sichtweise ist die einzige moralische und demzufolge richtige, alles andere ist Geschwurbel und Lüge. Ob Ukraine, Klima, Einwanderung oder Gendern: Selbstgerecht stellen diese Erleuchteten ihr Gutes dem Bösen der anderen gegenüber. Man muss nicht viel Vorstellungsvermögen haben, um zu erahnen, was das für eine Gesellschaft bedeutet: Spaltung bis ins Kleinste und Intoleranz bis zum Geht-nicht-Mehr. Letztlich «Krieg» – jeder gegen jeden.
Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Ich jedenfalls lasse mir nicht vorschreiben, wie ich zu denken, zu reden und zu schreiben habe. Ich lasse mir nicht Ausdrücke in den Mund legen und Schreibweisen befehlen. Ich lasse mich nicht in eine Gesinnungsecke stellen. Ich stehe weiterhin zu meinen Überzeugungen und äussere weiterhin frei meine Meinung – im Wissen allerdings, dass Meinung und Realität nicht immer dasselbe sind.
Zugegebenermassen ist das nicht immer einfach, aber möglich. Und vielleicht ein klitzekleiner Beitrag, um dem Woke-Wahnsinn etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Beat Brülhart wohnt in Düdingen. Er ist Unternehmensberater und Trainer für Führungskräfte sowie Referent am Schweizerischen Institut für Unternehmensschulung. Als Mitglied des Gewerbeverbands Sense ist er in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.
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