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Wegen Tragödie: Turnlegende zeigt Ethik-Meldestelle an

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Ein Trainingsleiter in mehreren Turnvereinen erhält wegen einer belastenden Meldung von zwei jugendlichen Sportlerinnen ein sofortiges Hallenverbot. Während diese vorläufige Massnahme ihn in den Abgrund zieht, ärgert sich eine altgediente Funktionärin gewaltig.

Im Mai 2023 eröffnet Swiss Sport Integrity (SSI) ein Verfahren gegen einen Aargauer Trainingsleiter. Zwei junge Turnerinnen hatten ihn zuvor wegen einem Verstoss gegen das Ethikstatut bei der Meldestelle angezeigt. Der Vorwurf lautet «Verletzung der sexuellen Integrität».

Der Leiter soll minderjährigen Turnerinnen Nachrichten, Videos und Fotos mit sexuellem Inhalt gesendet haben. Die laufende Untersuchung ergibt zusätzliche Vorwürfe, wie das unerwünschte und unangemessene Anfassen einer minderjährigen Turnerin.

SSI reagiert umgehend und verfügt aufgrund einer akuten Gefährdungssituation eine vorläufige Suspendierung des Beschuldigten von sämtlichen sportbezogenen Funktionen. «Es ist eine Gratwanderung, dass eine vorsorgliche Massnahme nicht zu einer Vorverurteilung wird», sagt ein Jurist zu dieser Art von Massnahme, die in mehreren anderen Fällen durch die Disziplinarkammer des Schweizer Sports (DK) wieder abgeschwächt wurde.

Der Leiter ist sich keiner Schuld bewusst

Für den betroffenen Leiter geschieht dies alles aus dem Nichts. Er ist sich keiner Schuld bewusst und im Umgang mit diesem Verfahren völlig überfordert. Da er in verschiedenen Organisationen tätig ist und sich überall zur sofortigen Einstellung seiner Trainingsarbeit erklären muss, erfährt bald die halbe Turnwelt von den Anschuldigungen. Es wird über ihn gerichtet und sein Ruf und seine Integrität sind zerstört, lange bevor ein Sportgericht ein Urteil fällen wird. Ja, bevor die noch immer laufende Untersuchung überhaupt so richtig konkret wird.

Dieser Text soll nicht richten und nicht für oder gegen jemanden Partei ergreifen. Aber er soll aufzeigen, welche Gratwanderung ein Ethikverfahren darstellt und was mediale oder öffentliche Vorverurteilungen anrichten können.

Seit der Eröffnung der Meldestelle im Januar 2022 hat sie über 650 potenzielle Ethikverstösse untersucht. Verschiedene Fälle wurden publik und lösten Empörung aus. Die Wut fokussierte stets auf den potenziellen Täter – ohne zu wissen, ob die Person juristisch gesehen tatsächlich Täter ist.

Ruth Vock sieht grundsätzliche Probleme

Ruth Vock ist 66 Jahre alt. Man kennt die inzwischen pensionierte Sportlehrerin in der Turnszene als langjährige Leiterin und Ausbildnerin. Sie übte während mehr als 50 Jahren Funktionen in verschiedenen Vereinen aus, war zuletzt während 19 Jahren technische Leiterin der Kunst- und Geräteturnriege des TV Eien-Kleindöttingen und steht noch immer wöchentlich in der Sporthalle. Ihr Mann Armin vertrat die Schweiz als Kunstturner bei Olympischen Spielen und war acht Jahre lang Nationaltrainer.

Ruth Vock kennt den angeklagten Leiter seit seiner Kindheit und hat später mit ihm jahrelang eng zusammen geleitet. Sie schätzte seinen korrekten und respektvollen Umgang mit den Athletinnen. Sie ist überzeugt, dass er keine Turnerin unangemessen berührt hat. Es geht ihr aber um viel mehr.

Sie hat die Wächter über Ethik, die Meldestelle von SSS, wegen Verstössen gegen das Ethikstatut selbst angezeigt. Die dreifache Mutter stellt in ihrer Begründung grundsätzliche Fragen, die weit über den konkreten Fall hinausreichen. Ruth Vock sagt: «Die aktuelle Situation mit dem Vorgehen von SSI widerspricht jeder ethischen, moralischen und verantwortlichen Grundhaltung.»

Hassnachrichten, aber auch Support für den Leiter

Zurück zum beschuldigten Leiter. Der Betroffene bestreitet sämtliche Vorwürfe. Er erklärt in einer ersten Rückmeldung gegenüber SSI, ihm sei unklar, was ihm genau vorgeworfen wird. Weil ihm im Frühjahr 2023 aus Schutz der möglichen Opfer die konkreten Fakten nicht genannt werden, kann er keine inhaltliche Stellungnahme zum Vergehen machen, die ihn betreffend Suspendierung entlasten könnte.

Der junge Mann ist mit dem juristischen Verfahren überfordert. Sein Arbeitgeber engagiert für ihn einen Anwalt. Dieser spricht in seiner Eingabe von einem eklatanten Verstoss gegen die Unschuldsvermutung. Er bezeichnet die Anschuldigungen als Verleumdung und die Forderung von Swiss Sport Integrity, eine Stellungnahme ohne Akteneinsicht abzugeben, als «zynisch».

Der Beschuldigte erhält derweil aus der Turnszene Hassnachrichten, aber auch Support von verschiedenen Kolleginnen und Vereinen aus dem Turnsport. Eine Expertin sagt gegenüber CH Media, diese messerscharfe Trennung für oder gegen einen Angeschuldigten sei in solchen Fällen eine weit verbreitete Begleiterscheinung.

Im September 2023 wird der Beschuldigte in Bern von SSI befragt. Nach fünf Monaten Ungewissheit erfährt er nun die genauen Vorwürfe: «Berührungen mit sexuellem Hintergrund», «Chat mit Turnerinnen mit zweideutigen Äusserungen», «sexistische Fotos» Sein Anwalt spricht von «Treibjagd».

Trotz grosser Erfahrung in Strafrechtsfällen habe er noch nie eine so voreingenommene und unprofessionelle Untersuchung erlebt. Es fehle die juristisch saubere Trennung zwischen Verdacht und Unschuldsvermutung. SSI nimmt zu laufenden Verfahren keine Stellung. Ein mit dem Fall vertraute Person sagt gegenüber CH Media, es sei aber «keinesfalls nichts passiert».

Die Verzweiflung des Beschuldigten hat Folgen

Die Vorwürfe nagen derart an dem Leiter, der bereits früher aufgrund einer traumatischen Vergangenheit wegen Depressionen in Behandlung war, dass es am 13. November aufgrund seines besorgniserregenden psychischen Zustands zur Einweisung in eine psychiatrische Klinik kommt. Aus dem Umfeld der Beteiligten ist zu erfahren, dass auch die potenziellen Opfer nach ihrer Anzeige psychologische Hilfe in Anspruch nehmen mussten.

Ruth Vock ist über den Vorwurf, der Trainer habe Bilder mit nacktem Oberkörper an Minderjährige geschickt und habe sie im Training unsittlich berührt, empört. Sie bringt im konkreten Fall verschiedenste entlastende Argumente ein – Videoaufnahmen, aktive Bemühungen um Nähe zum Beschuldigten durch die vermeintlichen Opfer nach dem angeblichen Vorfall, Äusserungen von anderen Mädchen.

Und sie hegt grundlegende Befürchtungen, dass mit dieser Interpretation des neuen Ethikstatuts künftig aus jedem Leiter und jeder Leiterin im Turnsport ein Täter gemacht werden kann. Ruth Vock sagt, «nackte Oberkörper bei Männern sind im Turnsport nichts Anrüchiges». Es gebe Tausende solcher Bilder aus Trainings oder von Wettkämpfen im Netz, keines habe einen sexuellen oder gar pornografischen Hintergrund.

Ist die Frage nach erzwungenem Sex opportun?

Sie spricht auch die Hilfestellungen für Turnerinnen im Training an, durch die an den Geräten erst ihre Sicherheit gewährleistet wird. Da streife eine Hand, weil alles in Sekundenbruchteilen passiere, ab und zu ein Hinterteil oder eine Brust. Auch hier erkennt sie keinerlei verwerfliche Intention: «Das ist doch keine Berührung mit sexueller Absicht.» Diese Interpretation des turnerischen Alltags führe dazu, dass Leitende den Sicherheitsaspekt künftig weniger hoch gewichten würden.

Eine Befragung des Beschuldigten bei SSI bezeichnet sie gar als «übergriffig». Er sei gefragt worden, ob er schon einmal gegen den Willen einer Frau Sex gehabt habe. «Ein Skandal», sagt Ruth Vock.

Der Fall zeigt, wie heikel die Tätigkeit eines Leitenden ist, der sich gegenüber den ihm anvertrauten Jugendlichen grundsätzlich in einer Machtposition befindet. Und wie gross die Verantwortung wiegt, eine schützende Distanz gegenüber den Sportlerinnen und Sportlern einzunehmen. Grundsätzlich stehen diese in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Trainer. Durch die Beschuldigung entsteht jedoch auch ein solches Verhältnis im umgekehrten Sinn.

Ruth Vock begrüsst die Ethikregeln. Sie kenne keinen Verein oder keinen Leitenden, die sich nicht hinter diese Werte stellen würden. «Die schlimmen Vorfälle in den Leistungszentren und häufig auch unter ausländischen Trainern, haben die Vereine geschockt.»

Unsicherheit wegen Ethik-Regeln verschärft Personalmangel

Die 66-Jährige hat aber zur aktuellen Umsetzung bei der Meldestelle grosse Bedenken. Sie sagt: «Fast alle Vereine haben Mühe, genügend Leiterinnen und Leiter für ihre Sportangebote zu finden. Die Anforderungen an sie werden immer höher. Die neuen Ethik-Vorgaben und die Verfahren tragen durch ihre systematischen Mängel zur Verschärfung der Situation bei.» Sie spricht bei deren Anwendung von einem Schnellschuss und etlichen Schwachstellen.

Fakt ist, dass es zum Thema Ethik aktuell trotz 650 Anzeigen noch praktisch keine Rechtsprechung gibt und entsprechend auch keine erprobten juristische Leitplanken. Wo wird aus einem Graubereich tatsächlich ein sportrechtlich zu sanktionierendes Vergehen? «Wer beurteilt dies: Rechtsanwälte ohne Kenntnisse in der Sportart?», fragt sich Ruth Vock. Wie weit diese Regeln konkretisiert oder angepasst werden müssen, kann erst die Praxis aufzeigen.

Vock kritisiert den Umstand, dass nun jeder und jede aufgefordert wird, Missstände zu melden. «Damit wird Tür und Tor für Intrigenspiele geöffnet und Minderjährige können für persönliche Konflikte, Konkurrenzdenken und Vereinsprobleme instrumentalisiert werden. Wir dürfen das Schicksal von Tausenden ehrenamtlichen Leiterinnen und Leiter doch nicht in die Hände von Minderjährigen legen.»

Faire Behandlung wird in Frage gestellt

Ruth Vock sagt, es sei richtig und wichtig, dass SSI Meldungen von Minderjährigen «sehr ernst nimmt und diesen nachgeht. Die Frage ist aber, wie dies geschehe. «Für einen Leiter ist es enorm wichtig, dass er die Sicherheit hat, von SSI fair und korrekt behandelt zu werden. Aber SSI geht bei einer Meldung anstatt von der Unschuldsvermutung von einer Schuldvermutung des Leiters aus. Daher ist gerade das Verteidigungsrecht des Leiters enorm wichtig.»

Weil sie dieses Vorgehen als nicht den Regeln entsprechend erachtet, hat Ruth Vock die Meldestelle angezeigt. Der Vorwurf lautet: Verstoss gegen die Fürsorgepflicht im Rahmen des Ethik-Statuts – und zwar der Fürsorge gegenüber den Leitenden.

Der Angeklagte habe nun das Stigma eines übergriffigen Leiters. Seine Reputation wurde vernichtet, er sei finanziell ruiniert. «Ich bin entsetzt. Wer schützt uns Leitende? Während dem wir Leitende angehalten werden, Minderjährige zu schützen, wird diesen gleichzeitig das Recht und die Macht erteilt, über uns zu richten. Wir stehen irgendwie alle unter Generalverdacht.»

Für Leitende steht Existenz auf dem Spiel

Sie bemängelt auch die fehlende Unterstützung des Leiters durch den Turnverband und erachtet die angebotene Beratung ausgerechnet durch die anklagende Behörde SSI gar als «absurd». Am schlimmsten könne es jene im Sport ehrenamtlich tätigenden Menschen treffen, die beruflich im pädagogischen, medizinischen oder sozialen Bereich tätig sind. «Ein Lehrer wäre im Fall einer Suspendierung als Leiter bereits beruflich ruiniert, bevor seine Schuld überhaupt feststeht. Im Fall einer anonymen Meldung sogar, ohne dass er weiss, warum», sagt Ruth Vock.

Die Disziplinarkammer will auf die Anzeige von Frau Vock nicht eintreten. Sie geht davon aus, dass für die Begehren der Antragstellerin keine rechtliche Legitimation vorliegt. Sie argumentiert, Frau Vock sei im aktuellen Fall nicht «direkt betroffen».

Zudem sei das Anliegen nicht ausreichend klar, um eine juristische Beurteilung zu ermöglichen. Man ist der Meinung, die von ihr eingebrachte Thematik müsse politisch beurteilt werden, sprich mit allfälligen Anpassungen in den Ethikrichtlinien. Die aktuelle Stossrichtung sei von der Politik genau so gewollt. Ruth Vock hat bei der DK ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht.

Die Meldestelle ist sich der Verantwortung bewusst

Im Fall des beschuldigten Leiters läuft die Untersuchung weiter. Noch ist keine Anklage bei der DK eingereicht worden. Ob es so weit kommt und wie ein allfälliges Urteil ausfällt, steht in den Sternen. Umgekehrt hat der Angeschuldigte bislang auch keinen Antrag bei der DK eingereicht, seine provisorische Suspendierung aufzuheben. Er müsse das Geld für die spätere Hauptverhandlung sparen.

All dies zeigt auf, wie diffizil das erst vor zwei Jahren ins Leben gerufene neue System zur Aufdeckung von ethischen Missständen in der Anwendung ist. SSI sagt deutlich, man sei sich der Verantwortung auch gegenüber den Beschuldigten bewusst und nehme entsprechend Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte aller Betroffenen. Frau Vock bezweifelt genau dies.

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