Der Verein Frauenhaus Freiburg berät und betreut seit über 40 Jahren Frauen, die Opfer von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt geworden sind. Er unterhält das einzige Frauenhaus im ganzen Kanton.
Es war ihr letzter Ausweg. Lange hatte sie sich dagegengestemmt. Elf Jahre lang, um genau zu sein. Immer wieder hatte sie sich eingeredet, dass es doch gar nicht so schlimm sei. Ihr Lebenspartner, der Vater ihrer Kinder, konnte doch gar kein übler Mann sein. Ein Lebenspartner kann seine Lebenspartnerin doch gar nicht vergewaltigen. Nicht beschimpfen und bedrohen. Nicht schlagen und treten. Ihre seit dem Bruch leicht gekrümmte Nase, die Hämatome an Armen und Beinen sowie die Narben auf und unter der Haut erzählten eine andere Geschichte. Genau deshalb stand Anna B. (Name geändert) gemeinsam mit ihren drei Kindern nun vor dieser eichenbraunen Tür.
Hinter der eichenbraunen Tür befindet sich der Eingangsflur der Opferhilfeberatungsstelle des Vereins Frauenhaus Freiburg. Neben den Büros der Fachfrauen finden sich hier ein Spielzimmer für Kinder sowie mehrere Beratungszimmer. Tageslicht durchflutet die schlicht, aber liebevoll eingerichteten Räume. In einem der grösseren Beratungszimmer steht neben dem Besprechungstisch noch ein kleiner Tisch mit Stühlen und Spielzeug für die jüngeren Kinder. Eine aufgemalte Sonne sowie ein farbenfreudiger Wald zieren das Wandbild. Wer es nicht besser wüsste, würde den Raum fast schon heimelig nennen. Einzig die in Voraussicht auf dem Tisch platzierte Schachtel mit Taschentüchern lässt erahnen, welch Trauer und Trauma in diesen Räumlichkeiten schon besprochen und bewältigt werden mussten.
Freiwilliger Hilferuf
Unzählige Frauen wie Anna B. sind hier schon ein und aus gegangen, seit Ramona Polzer 2017 ihre Arbeit aufgenommen hat. Ihr Job ist es, Opfer zu begleiten und zu beraten. «Als Opfer gelten Menschen, die durch eine Straftat unmittelbar in ihrer psychischen, physischen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sind», erklärt sie. Diesen Menschen stehen gemäss Opferhilfegesetz bestimmte Rechte zu, darunter das Recht auf Beratung. Die Opfer melden sich dabei von sich aus bei der Beratungsstelle, meist per Telefon. Ramona Polzer betont, wie wichtig es ist, dass dieser erste Schritt vom Opfer ausgeht:
Wir arbeiten nicht in einem Zwangskontext. Eine Person kommt immer aus freiem Willen zu uns, weil sie Unterstützung benötigt.
Die Fachfrauen des Vereins Frauenhaus Freiburg schätzen bei dieser ersten Kontaktaufnahme sofort die Gefährdung der Person sowie die Dringlichkeit eines Einschreitens ein. Ausschlaggebend für diese Einschätzung sei die individuelle Situation der Opfer, so Polzer. Auf dieser Grundlage entscheiden die Fachfrauen, ob sie eine Notaufnahme organisieren, ein Beratungsgespräch vereinbaren oder das Opfer in ihrem Netzwerk weitervermitteln.
Geheime Unterkunft
Liegt eine gefährliche Situation vor, ist es das Ziel, die Opfer so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Genau für diesen Fall hat der Verein sein Schutzhaus. Das wie der Verein gleichnamige Frauenhaus ist eine Unterkunft an einem unbekannten Ort. «Das Frauenhaus dient dem sofortigen Schutz», sagt Polzer. Die Adresse des Frauenhauses muss geheim bleiben, damit allfällige Täter die Opfer dort nicht ausfindig machen können. «Wir schalten auf den Handys der Frauen alle Ortungsdienste aus und löschen Apps, die Rückschlüsse auf ihren Standort geben könnten», erklärt die Opferhilfeberaterin. Die dort wohnhaften Frauen dürfen das Frauenhaus untertags verlassen, müssen aber aus Sicherheitsgründen um 22 Uhr abends wieder zurück sein.
Mit sechs Zimmern bietet das Frauenhaus Platz für bis zu sechs Frauen und zwölf Kinder. Ein Notfallzimmer und Notfallbetten schaffen mehr Flexibilität, um weitere Frauen und Kinder aufzunehmen. Doch die Nachfrage ist gross und die Ressourcen begrenzt. Laut Ramona Polzer ist das Frauenhaus seit 2022 durchgehend vollends ausgelastet.
Überzählige Opfer weise der Verein aufgrund der Vollauslastung aber nicht einfach ab. «Wenn es ein Notfall ist, suchen wir nach einer Lösung», stellt Polzer klar. Reicht der Platz im Frauenhaus nicht aus, wendet sich der Verein an ausserkantonale Frauenhäuser. Sind diese auch ausgebucht, werden die Frauen in Hotels untergebracht und auf die Warteliste für das Frauenhaus gesetzt. Das sei beileibe nicht optimal, aber eine bessere Lösung gebe es derzeit nicht, erklärt die Opferhilfeberaterin.
Fünfwöchige Soforthilfe
Jedes Opfer darf gemäss den kantonalen Richtlinien eine Soforthilfe von 35 Tagen im Frauenhaus beziehen. Innerhalb dieses Zeitrahmens entscheiden die Opfer gemeinsam mit den Opferberaterinnen, wie lange der Aufenthalt notwendig ist. Während manche nur einen Tag im Frauenhaus bleiben, nutzen andere das Angebot für mehrere Monate, erzählt Ramona Polzer. Ist ein längerer Aufenthalt als die 35 Tage Soforthilfe nötig, muss der Verein beim kantonalen Sozialamt einen Verlängerungsantrag stellen. Das wichtigste Kriterium für die Entlassung:
Das Opfer muss sich sicher genug fühlen und ausreichend geschützt sein.
Ramona Polzer
Opferhilfeberaterin Frauenhaus Freiburg
Für die Opfer, die den Schutz des Frauenhauses verlassen, übernimmt fortan die Opferberatungsstelle die Betreuung und Begleitung. «Ein längerfristiges Thema wie ein eventuelles Strafverfahren ist nicht in 35 Tagen geklärt», sagt Polzer. Die Arbeit des Vereins ende nicht mit dem unmittelbaren Schutz der Frauen, stellt die ausgebildete Sozialarbeiterin klar. Die Opferberatungsstelle gehe den ganzen Prozess von Anfang bis Ende mit dem Opfer mit, sollte dies vom Opfer erwünscht sein. Dazu gehört neben der psychosozialen Beratung auch die Begleitung in rechtlichen Fragen für ein eventuelles Gerichtsverfahren.
Mangelndes Vertrauen
Doch bis es dazu kommt, ist es für die Opfer ein langer Weg – sowohl in bürokratischer als auch in emotionaler Hinsicht. Es koste viel Überwindung, rechtliche Schritte wie eine Strafanzeige einzuleiten, weiss Polzer. Zwar seien häusliche und sexuelle Gewalt in der Gesellschaft heutzutage deutlich weniger tabuisiert als früher, doch vielen Opfern fehle das Vertrauen. In sich und in die Justiz. «Sie haben viele Selbstzweifel, ein Schamgefühl und Angst, dass man ihnen nicht glaubt», sagt die Opferhilfeberaterin. Manche wüssten auch einfach nicht, dass das, was ihnen widerfahren ist, eine Straftat ist.
Wenn die Justiz die Opfer nicht als solche anerkennt, verzweifeln diese umso mehr. Auf jeder Stufe des juristischen Prozesses werde der Opferstatus infrage gestellt, so Polzer. Die Konsequenz: «Die Opfer müssen sich permanent und immer wieder dafür rechtfertigen, dass sie Opfer geworden sind.»
Gesellschaft früh sensibilisieren
Ähnlich war es bei Anna B. Sie hatte sich nie getraut, zum Arzt zu gehen und ein medizinisches Gutachten erstellen zu lassen. Juristisch wurde ihre Anzeige dann mangels Beweisen abgewiesen. Urteile, die das Vertrauen der Betroffenen in die Justiz erschüttern können. Mit Folgen. Ein schwindendes Vertrauen in die Justiz verhindere, dass über solche Themen gesprochen werde, meint Polzer. Dabei wäre dies ihrer Meinung nach essenziell:
Je mehr Opfer sich trauen, darüber zu reden, desto besser kann gezeigt werden, dass sie mit dem Erlebten nicht alleine sind.
In der Gesellschaft müsse bereits in jungen Jahren, etwa in der Schule, stärker für dieses Thema sensibilisiert werden, findet Polzer. Häusliche und sexuelle Gewalt werde es wohl immer geben, das lasse sich leider kaum verhindern. Aber der offene Umgang mit dem Erlebten in der Gesellschaft könne einen Unterschied machen. Damit Frauen wie Anna B. nicht mehr elf Jahre warten, bis sie sich Hilfe suchen. Damit der Gang zur eichenbraunen Tür nicht mehr der letzte, sondern der erste Ausweg ist.
Beratungen beim Verein Frauenhaus Freiburg sind auf Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch, Türkisch und Portugiesisch möglich. Für alle weiteren Sprachen arbeiten die Opferhilfeberaterinnen mit Übersetzenden zusammen. Weitere Informationen unter https://www.sf-lavi.ch/.
Wen betreut der Verein Frauenhaus Freiburg, und wen nicht?
Der Verein Frauenhaus Freiburg nimmt ausdrücklich nur volljährige Frauen mit oder ohne ihre Kinder auf. Die Frauen müssen gemäss Opferhilfegesetz Opfer einer Straftat geworden sein. Sozialarbeiterinnen sind vor Ort, um den Frauen zu helfen. Die Frauen müssten jedoch selbstständig genug sein, um sich um ihren Alltag sowie die Kinderbetreuung zu kümmern, betont Opferhilfeberaterin Ramona Polzer. Zudem müssten die Betroffenen damit einverstanden sein, dass der Verein mit einem Netzwerk verschiedener Institutionen wie Schutzbehörden und Schulen zusammenarbeitet.
Es gebe nur wenige Ausschlusskriterien für die Aufnahme im Frauenhaus, führt Polzer aus. So könnten zum Beispiel keine Tiere in das Frauenhaus aufgenommen werden. Und bei besonderem medizinischem Bedarf verfüge das Frauenhaus nicht über die nötige Ausstattung. Jedoch suche der Verein auch in solchen Situationen nach Lösungen.
Die Arbeit des Frauenhauses Freiburg und der Opferhilfeberatungsstelle ist für Opfer nach dem Opferhilfegesetz kostenlos und vertraulich. Opfer können in den Beratungen auch anonym bleiben. Es ist nicht erforderlich, eine Strafanzeige zu stellen, um von dem Verein betreut zu werden. Betroffene können sich sowohl für Schutz-, Beratungs- als auch Vermittlungszwecke bei den Opferhilfeberaterinnen melden.
Benötigen Sie Hilfe, fallen aber nicht in das Klientinnenprofil des Vereins? Der folgende Link führt Sie auf die Webseite der kantonalen Opferberatungsstelle für Kinder, Männer und Opfer des Strassenverkehrs.
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