Was das Bundesgericht gestern entschieden hat, ist historisch: Zum ersten Mal überhaupt haben die höchsten Richter angeordnet, dass eine Volksabstimmung auf Bundesebene wiederholt werden muss. Die Initiative, mit der die CVP die Heiratsstrafe abschaffen wollte und die vor drei Jahren an der Urne mit 50,8 Prozent Nein-Stimmen erdenklich knapp scheiterte, ist annulliert.
Das Bundesgericht kam in einer öffentlichen Sitzung zum Schluss, dass der Bundesrat im Zusammenhang mit der Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» Fehlinformationen geliefert habe. So sei die Abstimmungsfreiheit verletzt worden. Hintergrund des Bundesgerichtsurteils sind falsche Zahlen: In seiner Botschaft hatte der Bundesrat geschrieben, 80 000 Zweiverdiener-Ehepaare seien von der Initiative betroffen. Zwei Jahre nach der Abstimmung korrigierte der Bundesrat diese Zahl nach oben: Nun war die Rede von rund 454 000 betroffenen Paaren.
Eine Mehrheit der Bundesrichter fand, die Mängel seien so gravierend, dass es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich sei, dass das Ergebnis anders ausgesehen hätte, wären die korrekten Zahlen bekannt gewesen.
Wie es nun weitergehen soll, ist unklar. Der Entscheid liegt beim Bundesrat: Wird er eine zweite Abstimmung ansetzen? Oder soll die Vorlage nochmals durch das Parlament? Man warte nun zunächst auf das schriftliche Urteil, so Bundesratssprecher André Simonazzi.
Uneinigkeit scheint auch bei den Initianten selber zu herrschen. «Ein erneuter Urnengang ist die bestmögliche Korrektur dieses Vertrauensverlusts», sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister. Andere Stimmen in der Partei wollen die Heiratsstrafe indes lieber auf parlamentarischem Weg beseitigen. Denn: Die Initiative definiert die Ehe nach wie vor als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau. Nicht zuletzt deshalb war die Vorlage an der Urne gescheitert.
Bericht und Interview Seite 27
«Ein erneuter Urnengang ist die bestmögliche Korrektur dieses Vertrauensverlusts.»
Gerhard Pfister
CVP-Präsident
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