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Eine Wohnschule für mehr Autonomie

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Mit dem Finger fährt Jérémie* einer Linie der am Küchenschrank aufgehängten Tabelle nach, dann hält er inne. «400 Gramm», sagt er. «So viele Spaghetti bräuchte ich für fünf Personen.» An diesem Abend will er aber nicht Spaghetti kochen, sondern Pizza–mit Salat. «Früher hätte ich Angst gehabt, die Salatsauce alleine zu machen», sagt Jérémie. Mittlerweile ist dies kein Problem mehr, auch dank der bildlichen Anleitung, die an einer Wand der gelb gestrichenen Küche hängt, gleich neben der Ernährungspyramide und dem Fahrplan für die städtischen Trolleybusse.

Der 22-jährige Jérémie ist einer von sechs Teilnehmern der von der Stiftung des Seebezirks für Erwachsene Behinderte betriebenen Wohnschule an der Bankgasse in Freiburg. Eine zweite Wohnschule mit vier Teilnehmern gibt es an der Lausannegasse (siehe Kasten).

Vielfältige Ausbildung

Das Ziel der komplett zweisprachig geführten Wohnschule sei es, Erwachsene mit einer geistigen Behinderung während zwei Jahren so auszubilden, dass sie ein selbstständiges Leben in einer eigenen Wohnung führen könnten, erklärt Bereichsleiter Manfred Brünisholz bei einem Besuch. An diesem Morgen ist es ruhig in den Räumen an der Bankgasse. Alle Bewohner sind bei der Arbeit. Nur Jérémie, der als Hauswart im Foyer des Préalpes in Villars-sur-Glâne arbeitet, hat für den Besuch der Presse freigenommen.

Alle Teilnehmenden arbeiteten zu 70 Prozent in geschützten Werkstätten oder in der freien Marktwirtschaft, drei Nachmittage nehme die Ausbildung in Anspruch, erklärt Brünisholz. Diese erfolge auf zwei Ebenen: So gebe es zum einen den Unterricht, zum anderen die praktische Umsetzung. Dabei lernen die Teilnehmenden, zu kochen, den Haushalt zu führen, zu waschen, die Finanzen zu regeln, auf die Hygiene zu achten und ihre Freizeit zu gestalten. Ein weiterer Themenbereich heisst «Ich und mein Umfeld». Aspekte, die dabei diskutiert würden, sind etwa der eigene Charakter, die Behinderung, das soziale Umfeld und die Sexualität. «Es müssen zwar alle am Unterricht teilnehmen, wer aber eine Frage nicht beantworten will, wird nicht dazu gezwungen», betont Brünisholz.

Für den Unterricht arbeitet die Wohnschule oft mit externen Fachpersonen zusammen. So erklärt etwa die Kantonspolizei, welche Vorsichtsmassnahmen beim Benützen eines Bankomats nötig sind und wie bei Belästigungen zu reagieren ist. In einem Selbstverteidigungskurs eignen sich die Teilnehmenden mehr Selbstvertrauen an und lernen, auf Distanz zu gehen. Bei Museumsbesuchen oder Trainings in Sportvereinen sehen sie, wie sie ihre Freizeit gestalten können. Und auch mit Anlaufstellen wie etwa dem Zentrum für Familienplanung, dem Verein für Gewaltberatung Expression oder psychologischen Diensten kommen sie bei Bedarf in Kontakt. «Wir wollen, dass sie sich ein Netzwerk aufbauen, auf das sie auch nach dem Verlassen der Wohnschule zurückgreifen können», sagt Brünisholz.

 Die praktische Umsetzung üben Jérémie und seine drei Mitbewohnerinnen und zwei Mitbewohner jeden Tag. «Sie müssen am Morgen selbstständig aufstehen, sich waschen, essen und dafür sorgen, dass sie pünktlich und mit witterungsgerechter Kleidung zur Arbeit gehen», sagt Brünisholz. An Wochentagen jeweils von 6 bis 8 und von 17 bis 20 Uhr sowie am Wochenende von 10 bis 14 Uhr ist eine Begleitperson präsent, auch gibt es einen Pikettdienst. Jeweils am Montag legen die Bewohner gemeinsam mit der Begleitperson den Ämtli- und den Menüplan für die kommende Woche fest. So ist klar, was es einzukaufen gilt und wer wann putzen, waschen und kochen muss. «Oft hat man den Teilnehmern all diese Dinge abgenommen. Hier müssen sie nun alles selbst machen», sagt Brünisholz. Dies sei auch für das Selbstbewusstsein wichtig. «Oft wurde einfach über diese Menschen bestimmt. Hier lernen sie, sich und ihre Bedürfnisse durchzusetzen.» So hat Jérémie aus eigener Initiative ein Theoriebuch mit Verkehrsfragen gekauft und büffelt nun, um die Theorieprüfung für den Scooter-Fahrausweis absolvieren zu können. «Ob er das Permis erlangen kann, liegt nicht in unserem Ermessen. Aber wir unterstützen diese Initiative», so der Bereichsleiter.

 «Sachen für Junge machen»

Der Anfang in der Wohnschule sei nicht ganz einfach gewesen, sagt Jérémie, der seit April 2015 an der Bankgasse wohnt. «Ich vermisste meine Eltern.» Mittlerweile hat er sich aber gut eingelebt. «Ich habe Freunde gefunden und wir können gemeinsam Sachen für Junge machen, wie etwa ins Kino oder etwas trinken gehen.» Auch schätzt er die Durchmischung auf verschiedenen Ebenen. «Als Zweisprachiger habe ich keine Mühe, wenn jemand nur Deutsch oder nur Französisch spricht. Ich versuche dann, so gut wie möglich zu übersetzen. Und ich finde es auch gut, gibt es Frauen. So lernt man gegenseitig die Reaktionen des anderen kennen.»

Läuft alles gut, wird Jérémie in einem guten Jahr mithilfe der Begleitperson eine Wohnung suchen. Nicht alle wollten eine Wohnung für sich alleine, sagt Brünisholz. «Oft bilden sich Freundschaften, manchmal gibt es sogar Pärchen, die zusammenziehen.» Auch Jérémie hat klare Vorstellungen, wie seine Zukunft aussehen soll. «Ich möchte in Freiburg bleiben, hier hat es die besten Verbindungen im öffentlichen Verkehr. Und ich möchte mit anderen Personen zusammenwohnen.»

*) Vollständiger Name der Redaktion bekannt.

Wohnschule: Erfolgsrate von 85 Prozent

V or etwa zwanzig Jahren gründete die Fachorganisation für behinderte Menschen Pro Infirmis an der Bankgasse in Freiburg eine Wohnschule, in welcher Erwachsene mit einer Behinderung lernen, autonom zu leben. 2005 nahm die Stiftung des Seebezirks für erwachsene Behinderte die Wohnschule in ihre Strukturen auf. «Eine Grossinstitution hat mehr Möglichkeiten, um eine solche Wohnschule aufrechtzuerhalten», sagt Bereichsleiter Manfred Brünisholz. In der Tat: Nur ein Jahr nach der Übernahme wurde die Wohnschule von sechs auf zehn Plätze erweitert, hinzu kamen die Räume an der Lausannegasse 87. Zurzeit hat die Wohnschule sechs Mitarbeitende, neben dem Bereichsleiter sind dies drei Dozenten und zwei Begleitpersonen. In die Institution aufgenommen werden können alle Personen über 18 Jahre, die eine IV-Rente beziehen – sofern die Wohnschule über freie Plätze verfügt. «Bis 2017 sind wir ausgelastet, einige Einschreibungen gibt es sogar für 2019.» Grundsätzlich dauere die Ausbildung zwei Jahre. Jedoch komme es auch vor, dass Personen mehr Zeit bräuchten und ihren Aufenthalt verlängerten. Bei anderen zeige sich, dass es ohne Betreuung nicht gehe, einige brechen die Ausbildung auch ab. «Erst im Verlauf der Ausbildung wird deutlich, wie sich eine Person entwickelt. Grundsätzlich hat aber jeder eine Chance verdient. Wichtig ist, dass die Person motiviert ist.» Und insgesamt sei die Wohnschule erfolgreich: «In den letzten zehn Jahren konnten etwa siebzig Personen in eine eigene Wohnung ziehen. Das ist eine Erfolgsrate von 85 Prozent.» rb

 

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