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«Emmerdiere» und «plonschiere»: Bolz ist Dialekt und Geschichte

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Was ist Bolz? Wo wird Bolz gesprochen? Woher kommt es und was bedeutet Bolz überhaupt? Die FN haben sich mit der Sprachwissenschaftlerin Claudine Brohy zusammengesetzt und über den Dialekt der Freiburger Unterstadt gesprochen.

«Är plonschiert vam Dryymeeterbrätt i d Pyssyna» oder «Hie isch früer a Patynuaara gstane» – Sätze, die in der Freiburger Unterstadt durchaus noch zu hören sind. Nicht ganz Senslerdeutsch, nicht ganz Französisch, aber ein bisschen von beiden. Eben Bolz.

Zwei Sprachvarietäten

«Diese sprachliche Mischform ist das Resultat des gegenseitigen Einflusses zweier Sprachen, die in der Unterstadt aufgrund von bestimmten sozialen Umständen gewachsen ist», fasst die Freiburger Sprachwissenschaftlerin Claudine Brohy die Sprachvarietät zusammen. «Es gibt eigentlich zwei Bolz», klärt sie auf. Das eine basiert auf der Grundlage des Senslerdeutschen mit französischen Elementen (Bolz) und das andere basiert auf der französischen Sprache und enthält senslerdeutsche Elemente (bolze). «Das deutsche Bolz ist flexibler. Man kann verschiedenste Wörter aus dem Französischen verdeutschen oder direkt in einer Konversation verwenden», sagt sie. Ausdrücke wie emmerdiere, e bäng bong oder Potasche. Das französische bolze hingegen brauche immer dieselben deutschen Ausdrücke, wie beispielsweise le chatz oder le wägele. «Zu dieser Varietät gehören aber auch ein gewisser Akzent und eine Stadtidentität», sagt Brohy.

Solche Mischsprachen gibt es auch in anderen Regionen, wo zwei Sprachgruppen eng aufeinander leben. So in Biel oder im Jura. «Jedoch ist einmalig, dass diese Mischform in Freiburg lokal verankert ist und einen Namen hat. Nämlich Bolz», sagt Brohy.

Sensler und Welsche 

Entstanden ist Bolz im 19. Jahrhundert. «Es waren vor allem Senslerinnen und Sensler aus armen Bauernfamilien, die damals in die Freiburger Unterstadt, speziell ins Auquartier, auf Arbeitssuche gekommen sind.» So lebten und arbeiteten Sensler und Welsche aus ähnlichen Gesellschaftsschichten auf engstem Raum in der Unterstadt zusammen. «Es gab sprachlich gemischte Familien, und man traf sich im Haus, am Arbeitsplatz, auf der Strasse und in den vielen Beizen. Bolz ist durch dieses Zusammenleben entstanden,» sagt Brohy.

Von der Stadt zur Sprache

Der Begriff Bolz stand im 19. Jahrhundert zunächst für die Menschen aus der Stadt Freiburg. «Mit der Zeit ist er spezifischer für die Unterstadt benutzt worden», sagt Brohy. Nach und nach sei es von der Bezeichnung für die Bewohnerinnen und Bewohner auch auf deren Sprache übergegangen. «Was Bolz bedeutet, weiss man nicht genau. Man nimmt an, es käme vom deutschen ‹Bold›, für Typ», sagt Brohy.

Von Oberschicht verachtet

Das Bolz und diejenigen, die es sprachen, seien bis in die 1960er-Jahre von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Freiburger Oberstadt oft verachtet worden: «Man sagte, dass diese Menschen weder Deutsch noch Französisch sprechen oder schreiben können.» Die Freiburger Unterstadt gehörte laut Brohy damals zu den ärmsten Regionen der Schweiz: kleine Wohnungen ohne Badezimmer und Zweizimmerwohnungen für ganze Grossfamilien. «Man war in der Unterstadt nicht nur kartografisch unten, sondern gehörte auch zur Unterschicht.»

Gentrifizierung setzt ein

Ab den 1970er-Jahren habe die Gentrifizierung eingesetzt. Also ein Strukturwandel, bei dem die Mittelschicht die ansässige ärmere Bevölkerung ersetzt, weil die Häuser verkauft oder renoviert werden und weil das Quartier an Prestige gewinnt. So auch in der Freiburger Unterstadt, wo viele Häuser billig veräussert wurden. «Viele Berner und andere Freiburger haben diese dann gekauft», sagt Brohy. Auch Studentinnen und Studenten hätten in der Unterstadt früher billig gewohnt und seien dann geblieben oder zurückgekommen. Viele der ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner der Unterstadt hätten das Quartier verlassen müssen, als es für sie zu teuer wurde. Die meisten hat es ins Schönberg- und Juraquartier gezogen. Innerhalb von 15 bis 20 Jahren habe sich die Freiburger Unterstadt von einem ärmlichen Quartier zu einem Mittelschichtviertel gewandelt.

Bolz in Freiburg

Gibt es Bolz überhaupt noch? «Es gibt Bolz noch, aber es ist nicht mehr so lokal konzentriert, wie es früher war. Nun wird es in der ganzen Stadt vereinzelt gesprochen.» Es sei noch heute in einigen Beizen der Unterstadt zu hören, und in vielen zweisprachigen Familien sehr präsent, denn da werden die Sprachen oft gemischt.

Das Image vom Bolz habe sich mit den Jahren auch verändert. «Heute hat es an Prestige gewonnen. Es gilt nicht mehr als Zeichen der unteren Schicht und der Inkompetenz. Man ist stolz darauf, Bolz zu sprechen», sagt Brohy. Denn die Menschen, die Bolz sprechen, seien zweisprachig und könnten sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch sehr gut mündlich und schriftlich kommunizieren.

Zahlen und Fakten

7500 Sprachen auf der Welt

«Wir wissen nicht genau, wie viele Sprachen es auf der Welt gibt», sagt Brohy. Annahmen gehen von rund 7500 Sprachen aus. «Am Anfang meiner Studienzeit sagte man aber noch, dass es 3500 sind», so Brohy. Für Dialekte gebe es keine genaue Zahl: «Man weiss nicht immer genau, wo ein Dialekt aufhört und wo ein anderer Dialekt oder eine Sprache beginnt.»

«Man sagt, dass alle zwei Wochen eine Sprache ausstirbt und dass nur rund zehn Prozent aller Sprachen in 100 Jahren noch leben werden», sagt Brohy. Sie fügt an, dass Sprachen jedoch nicht einfach so aussterben. Es gebe verschiedene Gründe: Globalisierung, Unterdrückung von Kulturen und staatliche Kontrolle. «Sprache ist nämlich Teil eines Machtgefüges, und über Sprache entsteht auch soziale Kontrolle», sagt Brohy. So hätten Staaten Sprachen verboten, die Schweiz zum Beispiel das Patois, Frankreich das Elsässische und Bretonische, Spanien unter General Francisco Franco alle Landessprachen ausser Spanisch.

Sprachen, die von einer Minderheit der Bevölkerung gesprochen werden, können aus politischen Gründen an Prestige und Status verlieren. «In der Wissenschaft, in der Wirtschaft und im öffentlichen Raum werden diese Sprachen immer weniger gebraucht, bis sie nur noch im familiären Umfeld und im Freundeskreis gesprochen werden und vielleicht aussterben, wenn sie keine Förderung und Stützung erhalten.» km

Sprache und Dialekt zu definieren ist nicht einfach. 
Symbolbild Aldo Ellena

Sprache

Dialekt feiert dank den sozialen Medien ein Revival

Die Schweiz ist ein Land vieler Sprachen und noch mehr Dialekte. Sie ist nur 40’000 Quadratkilometer gross und hat vier Landessprachen. Wie viele Dialekte in der Schweiz gesprochen werden, ist kaum zu beziffern, da diese nicht einfach zu definieren sind. «Man ist sich in der Wissenschaft nicht immer einig, was jetzt eine Sprache und was ein Dialekt ist», sagt die Freiburger Sprachwissenschaftlerin Claudine Brohy im Gespräch mit den FN. Sprachen haben einen anderen Status als Dialekte: Sie sind standardisiert, werden in der Schule vermittelt und haben einen offiziellen Charakter. Dialekte werden eher im familiären und sozialen Umfeld genutzt und flexibler gehandhabt. In der Schweiz wird der Dialekt auch in den Medien und in der Kirche verwendet.

Soziale Medien helfen Dialekten

Die Schweizer Dialekte werden auch dank der sozialen Medien immer beliebter. «Sie haben ein Revival. Man hat noch nie so viel Dialekt geschrieben wie jetzt. Beispielsweise schreibt man in der Schweiz untereinander oft eher auf Schweizerdeutsch als auf Hochdeutsch.» Es sei ein Schreiben mit einem mündlichen Stil. Gehen in anderen Ländern, wie zum Beispiel Italien, die Dialekte aus verschiedenen Gründen zurück, so ist das in der Deutschschweiz nicht der Fall. Hier habe der Dialekt in den vergangenen Jahren an Wichtigkeit gewonnen, und das sei aussergewöhnlich. «Das Schweizerdeutsch ist ein spezielles Phänomen. Der Dialekt ist hier fest verwurzelt», sagt Brohy. Es gibt schweizerdeutsche Literatur, Musik, Wörterbücher, Nachrichtensendungen und vieles mehr.

Das, obwohl eine der vier Landessprachen der Schweiz – nebst Französisch, Italienisch und Rätoromanisch – eigentlich das Hochdeutsch ist. «Was nicht ganz stimmt, meiner Meinung nach», sagt Brohy. «Wenn man mit den Bundesbehörden in Bern mit Deutschsprachigen telefoniert oder am Schalter interagiert, kann man Schweizerdeutsch sprechen.» Es sei ganz klar, dass in einer mündlichen Unterhaltung Schweizerdeutsch benutzt werde. «Aber beispielsweise kenne ich niemanden, der ein formelles E-Mail auf Schweizerdeutsch verfassen würde», fügt Brohy an. Das nenne sich Diglossie, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Wenn zwei Sprachvarianten sich ergänzen: eine formellere und die andere eher im täglichen und mündlichen Gebrauch. 

Dialekt nicht immer so präsent

Heute haben die Dialekte im täglichen Leben ihren festen Platz. Das sei jedoch nicht immer der Fall gewesen. Mitte des 19. Jahrhunderts habe es verschiedene Indikatoren, wie die Landflucht, Industrialisierung und Migration, gegeben, die vermuten liessen, dass das Schweizerdeutsch aussterben würde. «Weil das Ende des Dialekts für die Menschen damals absehbar war, entschied man, ein Wörterbuch zu verfassen, damit Zeugnisse davon für die kommenden Generationen erhalten bleiben.» Die Gesellschaft sei sich zu dieser Zeit sicher gewesen, dass der Dialekt ausstirbt.

Wellen für Dialekt

Von den 1930er-Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg habe sich die Situation jedoch wieder geändert. «Das Schweizerdeutsch wurde zu einer psychologischen Abwehr gegen Nazi-Deutschland. Man sagte damit: ‹Wir gehören nicht zu Deutschland, wir haben eine andere Sprache›.» Es habe sogar Versuche gegeben, das Schweizerdeutsch zu vereinheitlichen und als Sprache zu definieren. Dies wurde nach dem 2. Weltkrieg aufgegeben, aber es hat die Sprachbewegungen gestärkt.

In den 1960er-Jahren kam eine weitere Dialektwelle. «Es war eine Revolte gegen die Autorität. Das hat auch mit der 68er-Bewegung zu tun», sagt Brohy. In der Schweiz kam dies vor allem durch die Musik zustande. Viele Sängerinnen und Sänger (Berner Troubadours, Mani Matter, etc.) begannen, auf Schweizerdeutsch zu singen, «nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene». Das sei relativ neu gewesen. Es waren nämlich keine Volkslieder, sondern Rock, Pop, Chanson und andere Musikstile.

In den 1990er-Jahren kam dann die dritte grosse Welle. Die elektronische Kommunikation mit Computern und Handys habe dem Dialekt einen grossen Aufwind gegeben. Mit den sozialen Medien in der heutigen Zeit sei das Schweizerdeutsch in der Schweiz auf einem Allzeithoch.

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