Emotionale Nähe
Ergreifende Musik an den Murten Classics
Perlen der Musikliteratur und perlendes Klavierspiel: Das Orchester der Nationaloper Litauen erfüllte den Murtener Schlosshof am Donnerstag mit Dvo r áks Sinfonie «Aus der Neuen Welt».
Von BEATE SCHLICHENMAIER
Der diesjährige Artist in Residence, Alexey Botvinov, zeigte mit dem vierten Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow sein herausragendes Können. Und in Kaspar Zehnder stand ein Dirigent am Pult, der mit seinem Motto «leitend sich leiten lassen» die Perlen zu entdecken wusste.
Die «Nähe von Künstlern und Publikum» wird im Festspielprogramm hervorgehoben, was erst einmal enge Platzverhältnisse, schwierige Sicht und dichte Akustik bedeutet – oder: Mit Nähe will behutsam umgegangen sein. Dies verstand Kaspar Zehnder. Er dosierte den wuchtigen Beginn des vierten Klavierkonzertes von Sergej Rachmaninow entsprechend den Mauern des Schlosshofes. So entstand Raum für den Pianisten, für Dialoge, für Musik, welche durch die Feinfühligkeit des Dirigenten emotionale Nähe vermittelte.
Perlendes Klavierspiel
Frei von körperlichem Gestikulieren, legte Alexey Botvinov seinen Ausdruck ganz in die Musik. Im zweiten Thema des ersten Satzes und im langsamen Satz zeigte sich des Pianisten Gespür für die feine Lyrik, welche er auch in den noch so schwelgerischen Passagen nicht verloren gehen liess. Perlend und brillant dann der letzte Satz. Ein Spiel feinster Hämmer mit überwältigender Akkuratesse. Schade nur, dass diese federnde Leichtigkeit vom Orchester weitgehend unbeantwortet blieb. Es vermochte weder Pianist noch Dirigent zu folgen und verharrte in zaghaftem und wenig flexiblem Spiel.
Bestimmt gaben dafür zu einem Teil aussermusikalische Gründe den Ausschlag, wie nach dem Eindruck der neunten Sinfonie von Antonín Dvorák zu urteilen war.
Dvo r áks Perle
Die Sinfonie «Aus der Neuen Welt», welche bereits an ihrer Uraufführung Begeisterungsstürme auslöste, verzeichnete einen weiteren Höhepunkt in ihrer über 100-jährigen Erfolgsgeschichte. Einfach und innig die Melodien, welche sich durch die Orchesterstimmen ziehen und zu symphonischer Fülle verarbeitet werden. So persönlich die Melodie, so persönlich schien Kaspar Zehnder diese von Instrument zu Instrument weiterzureichen und zu kraftvollen Höhepunkten zu führen. Ob als Bläsersolo, Kammermusik oder Gesamtklang – dem behutsamen Dirigat entwuchs eine gefühlsstarke Musik, welche Ausführende und Publikum gleichsam zu ergreifen vermochte. Das im Festspielprogramm niedergeschriebene Credo des Dirigenten bestätigte sich: «Ohne die Musik wäre das Leben ein Irrtum.»