Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Putins Triebfeder ist die Angst vor einer demokratischen, westlich orientierten Ukraine

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Russland greift die Ukraine an. Noch vor wenigen Tagen wäre der Freiburger Politikwissenschaftler Nicolas Hayoz von einem regionalen Konflikt ausgegangen, nicht aber von einem Angriffskrieg auf europäischem Boden.

Osteuropakenner Nicolas Hayoz, Professor an der Universität Freiburg, ist überrascht von der Heftigkeit des russischen Angriffs auf die Ukraine. Das Handeln des russischen Präsidenten Vladimir Putin entspreche aber dessen bisheriger Logik, der schwer nachvollziehbaren Vorstellungswelt eines von der alten Sowjetunion geprägten Politikers, sagt Hayoz im Interview mit den FN.

Nicolas Hayoz, seit Stunden sehen Sie im Fernsehen Szenen von Raketenangriffen, Luftschlägen und marschierenden russischen Truppen. Was geht in Ihnen vor? 

Das ist fürchterlich. Wir haben hier einen Krieg in der Ukraine und nicht eine Strafaktion, wie Putin es bezeichnet. Es war schon schrecklich, zu hören, was er Anfang Woche sagte und wie er drohte. Die Ukraine sei kein eigener Staat, sondern von Russland und den Bolschewiken geschaffen worden. Das waren schon entsetzliche Worte. Doch die Rede in der Nacht auf den Donnerstag übertraf alles: Russland wolle jetzt die Ukraine entmilitarisieren und entnazifizieren. 

Lange sah es so aus, als ob es zu einem regionalen Konflikt in den abtrünnigen sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk kommen würde. Doch nun greift Russland die Ukraine als Ganzes an. Haben Sie das so kommen sehen?

Nein. Noch vor zwei Wochen hätte ich gesagt, dass Putin trotz aller kriegerischen Rhetorik nicht so weit gehen wird. Dass er allenfalls diese abtrünnigen Gebiete im Auge hat. Aber ich hätte nicht angenommen, dass er aufs Ganze geht, dass er eine Invasion startet. Die Invasion eines Landes, das 40 Millionen Einwohner hat und grösser ist als jeder andere Staat in Europa ausser Russland selbst.

Warum war denn der Gedanke so abwegig? Putin zündelt schon lange.

Wir dachten, er kalkuliere ganz cool. Wir dachten, er baue eine grosse Drohkulisse auf. Doch eigentlich hätte man sich verstärkt in Putins Logik versetzen müssen, die eine Art neo-imperiale Logik ist, auf territoriale Kontrolle der post-sowjetischen Länder gerichtet. Nun haben wir einen ausgewachsenen Krieg in Europa, die ukrainische Regierung hat den Kriegszustand ausgerufen. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich zu wehren, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Natürlich stellt Putin das anders dar, er wolle die Ukraine für ihre Unbotmässigkeit bestrafen.

Bestrafen für was? Was für ein Problem hat Putin mit der Ukraine?

Die Ukraine ist aus Putins Warte immer mehr zu einem Risiko geworden. Wir beobachten das Geschehen in der Ukraine seit über 20 Jahren. Da hat sich viel geändert. 2004 brach die orangene Revolution aus. Seither hat sich die Ukraine zusehends demokratisiert und der EU angenähert. Heute haben wir in Kiew eine weitgehend demokratische Ordnung, die zwar noch Defekte hat, mit Korruption kämpft und sich mit Oligarchen auseinandersetzen muss, aber doch viele Freiheiten garantiert. Von diesen kann man in Russland nur träumen. Gleichzeitig hat sich die Ukraine immer stärker am Westen orientiert. Das weckt Ängste bei Putin und seinen Führungseliten. Sie fürchten, dass die Nato, der ehemalige Feind aus dem kalten Krieg, an Russland heranrückt. Das ist ein Ammenmärchen. Die Ukraine hat vorderhand keine Aussichten, in die Nato aufgenommen zu werden. Aber die post-sowjetischen Eliten um Putin können sich von diesem Feindbild nicht lösen. Und Putin hat Angst davor, dass das Demokratievirus auch auf Russland überspringt. Ohne Repression und Kontrolle der Medien wäre sein Fundament der Macht wohl viel wackliger.

Klingt das nicht auch paranoid?

Putin und seine Berater sind noch von der alten Sowjetunion geprägt. Sie haben nie akzeptiert, dass das alte Reich zerfallen ist. Sie sehen die Ukraine – wie andere Länder auch – noch immer als Teil ihres Imperiums. Das klingt verrückt, entspricht aber der Logik postsowjetischer Gewaltherrscher.

Die Ukraine ist im Krieg gegen einen übermächtigen Nachbarn – und sie ist allein. Kann sie von irgendwoher Hilfe erwarten?

Die anderen Länder wie auch die Nato warten ab. Sie wollen sehen, wie weit Putin wirklich geht. Ob er lediglich das militärische Potenzial der Ukraine zerschlagen oder das Land effektiv besetzen will. Deutschland überlegt sich, Waffen zu liefern. Doch wirklich militärisch eingreifen wird niemand, nicht für die Ukraine. Das Risiko ist zu gross. Und wie sollte das denn auch gehen bei den Kräfteverhältnissen im Osten Europas? Putin muss nicht mit militärischen Gegenmassnahmen rechnen – zumal er gewarnt hat, dass er jede Störung ahnden werde.

Warum fühlt er sich so sicher, dass niemand eingreift? Weil er 2014 schon die Krim besetzt hat, ohne dass sich jemand ernsthaft daran stiess?

Ja, aber es war schon 2008 in Georgien so. Dort hat Russland einfach ein Gebiet besetzt. Georgiens Unabhängigkeit ist heute von Russlands Gnaden. Dann liess Russland Armenien im Konflikt um Berg-Karabach gegen Aserbaidschan im Stich. Und im Vergleich zu diesen Kaukasus-Staaten ist Putin die russische Kontrolle über die Ukraine viel wichtiger.

Dann gibt es höchstens noch wirtschaftliche Druckmittel wie Sanktionen.

Ja. Diese müssen viel strenger ausgestaltet werden. Putin muss merken, dass er zu weit gegangen ist. Russland kann ihnen eine Weile lang ausweichen, die bisherigen Sanktionen haben ja auch nicht viel gebracht. Doch mit der Zeit wird es wehtun.

Und die Schweiz? Wie muss die Schweiz auf diese Aggression reagieren?

Die erste Reaktion des Bundesrats war schwach. Die Schweiz muss sich trotz oder gerade wegen ihrer Neutralität engagieren. Russlands Angriff ist eine eklatante Verletzung von allem, was wir in Europa an rechtlichen Errungenschaften entwickelt haben. Das geht über alle Dimensionen hinaus. Hier kann die Schweiz nicht mehr vermitteln, wie dies bei einem regionalen Konflikt vielleicht noch möglich wäre. 

Als in Jugoslawien Krieg war, erschien uns das in unmittelbarer Nähe. Es hiess, es sei ein Krieg in Europas Vorgarten. Wie weit ist die Ukraine aus unserer Sicht entfernt?

Sehen Sie: Nach Sarajevo sind es 1000 Kilometer, nach Kiew 2000. Doch die psychische und die emotionale Distanz ist schon für die Europäer gross, für die USA erst recht. Das ändert sich, wenn nun die wirtschaftlichen Folgen deutlich werden. Die Ukraine ist einer der grössten Weizenexporteure der Welt. Öl und vor allem Gas sind schon teurer geworden, sie werden nun noch teurer. Die Welt hat die Covid-19-Krise noch nicht überwunden, und nun das. Und erinnern Sie sich auch an die Flüchtlingskrise während der Jugoslawienkriege. So kommt der Konflikt unmittelbar zu uns, ob wir das wollen oder nicht.

Biografie

Nicolas Hayoz, Osteuropaexperte

Nicolas Hayoz ist seit 1998 Professor für Politikwissenschaft im Departement für Europastudien und Slavistik an der Universität Freiburg und am interfakultären Osteuropa-Institut. Er hat in Freiburg Recht studiert und in Genf seinen Doktor in der Politikwissenschaft gemacht. Hayoz hat unter anderem 2005 zusammen mit Andrej Lushnycky, dem Präsidenten des Ukrainischen Vereins in der Schweiz, den Aufsatzband «Ukraine at a Crossroads» (etwa «Ukraine, das Land am Scheideweg») publiziert. Hayoz’ Spezialgebiete sind Politik und staatliche Reformen in der früheren Sowjetunion und in Russland sowie die politischen Veränderungen in Osteuropa. fca

Kommentar (1)

  • 25.02.2022-Ivo Gut

    Danke für dieses Interview. Die Antworten von Prof. Hayoz unterscheiden sich wohltuend von den Meinungen anderer «Experten», welche eine Mitschuld des unbotmässigen Westens sehen.

Schreiben Sie einen Kommentar. Stornieren.

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Die Pflichtfelder sind mit * markiert.

Meistgelesen

Mehr zum Thema