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Warum Täter wie Opfer diese Gerichtsverhandlung geheim halten wollen

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Weil er zwei Jugendliche für sexuelle Handlungen getroffen hatte, drohen einem 27-Jährigen eine Haftstrafe und die Ausschaffung. Von der Gerichtsverhandlung dürfen weder seine Familie noch die seiner Opfer erfahren.

Todesangst, Geheimnisse und Sexualität waren die Zutaten einer Verhandlung am Dienstag vor dem Strafgericht des Seebezirks. In deren Zentrum standen drei Personen: ein heute 27-jähriger Türke als Beschuldigter, ein 17 Jahre alter Jugendlicher in der Rolle des Klägers und ein weiterer 17-Jähriger, der auf keinen Fall die polizeilichen Ermittlungen unterstützen wollte. Der Erwachsene hatte mit beiden sexuellen Kontakt. Deshalb musste er sich wegen sexuellen Handlungen mit Kindern und sexueller Nötigung vor dem fünfköpfigen Gericht, das in Granges-Paccot tagte, verantworten.

Den Jugendlichen hatte der Mann im April 2020 über eine Dating-Plattform für erwachsene Männer kennengelernt. Sie tauschten Nachrichten mit erotischem Inhalt aus. In einer der Nachrichten wies der Junge daraufhin, dass er erst 15 Jahre alt sei, so die Anklageschrift. Trotz dieses jungen Alters trafen sie sich in der Stadt Freiburg: In der Nähe des Bahnhofs stieg der Jugendliche zum Mann ins Auto. Nach einigen Stopps – der Mann tankte und kaufte Kaugummi sowie Kondome – endete die Fahrt nahe Cordast, umgeben von Feldern.

Hier kam es zu sexuellen Handlungen. Wie weit diese gingen, darüber gab es vor Gericht zwei Versionen: Laut dem Jungen, der an der Verhandlung von einem Vormund vertreten wurde, kam es zu einer Penetration. Diese habe ihm nicht gefallen, und er habe auch Schmerzen dabei empfunden. Beides habe er dem Mann gesagt. Dem widersprach der Beschuldigte: «Er hat nicht über Schmerzen geklagt. Wenn er nicht will, soll er das sagen, habe ich ihm gesagt.» Zudem sei es gar nicht zu einer Penetration gekommen: Auf dem Beifahrersitz sei es zu eng gewesen, und auf dem Fahrersitz habe er gemerkt, dass der Jugendliche kein Interesse mehr an einem solchen Akt hatte. Schliesslich wollte der Jugendliche zu seiner besten Freundin nach Hause. Der Mann fuhr ihn dorthin. Einen Tag später reichte der Jugendliche mit seiner Mutter Strafanzeige bei der Polizei ein.

Lebensgefahr wegen Tabu

Bei seiner Einvernahme durch die Polizei erzählte der Beschuldigte von sich aus, dass er auch mit einem 14-Jährigen, ebenfalls aus der Region, wiederholt sexuellen Kontakt hatte. Die beiden kannten sich über ihre befreundeten Familien. Als sie gemeinsam Essen auslieferten, küssten sie sich und praktizierten Oralverkehr. Überraschung für die Kantonspolizei, als sie den 14-Jährigen kontaktierte: Dieser gab nicht nur an, dass diese Handlungen einvernehmlich waren, sondern lehnte es ausdrücklich ab, auszusagen. Es bestünde Lebensgefahr, wenn seine Familie und die Familie des Angeklagten von den sexuellen Handlungen erfahren würden, gab er gemäss Anklageschrift an. Homosexualität sei in der türkischen Kultur verboten.

Dieses Tabu und die damit verbundene Angst zogen sich durch die gesamte Verhandlung. Der 17-jährige Kläger könne mit seinen Eltern nicht über das Erlebte sprechen, berichtete sein Vormund. So habe der Jugendliche gesagt:

Für mich ist es einfacher, meinen Eltern zu sagen, dass ich vergewaltigt wurde, als dass ich mit einem Mann geschlafen habe.

Jugendlicher Kläger

Eine Psychotherapie musste er nach einigen Sitzungen wieder abbrechen, weil sein Vater von dieser erfahren hatte und sie ablehnte. Auch der türkische Beschuldigte, der bei seiner Mutter lebt, macht aus seiner sexuellen Orientierung ein Geheimnis: «Ich hatte einige Monate lang eine Beziehung mit einer Frau, damit sich meine Mutter besser fühlt.» Wenn er für seine Tat einen Landesverweis kassiert und somit in die Türkei zurückkehren muss, wäre das ein grosses Problem. «Meine Eltern und meine Familie würden von meinen Taten erfahren. Und ich wäre ich in Gefahr, wenn man in der Türkei hört, warum ich zurückkehre. Homosexualität ist dort verboten und kann mit dem Tod enden.»

Entdeckung seiner Sexualität

Doch genau diesen Landesverweis verlangte Staatsanwältin Stéphanie Amara in ihrem Plädoyer: Für eine Dauer von fünf Jahren solle der Beschuldigte die Schweiz verlassen. Zusätzlich forderte sie eine bedingte Haftstrafe von 24 Monaten mit einer Probezeit von vier Jahren, eine Busse in unbestimmter Höhe und ein lebenslanges Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen.

Sein Verschulden wiegt schwer. Er dachte nur an sich und sein sexuelles Vergnügen.

Stéphanie Amara
Staatsanwältin

Der Altersunterschied und die wenigen Erfahrungen des Jugendlichen seien erschwerende Umstände. «Der Junge befand sich in der Entdeckung seiner Sexualität, und ihm war nicht so klar, was er sucht und was er will. Er war fragil, was durch den Lockdown zusätzlich verstärkt wurde.» Auf der Dating-Seite habe er nach Antworten gesucht. «Hier erhält das Verbot von sexuellen Handlungen mit Kindern unter 16 Jahren seine volle Bedeutung: Es soll Kindern ermöglichen, sich geschützt sexuell zu entwickeln.»

In diese Kerbe schlug Anne-Laure Simonet, die Anwältin des Jungen. Er und der Beschuldigte hätten zwar erotische Nachrichten ausgetauscht. Das dürfe dem Jungen nicht zum Nachteil ausgelegt werden: «Man darf bei einem Treffen immer noch entscheiden, die diskutierten Sachen nicht in die Tat umsetzen zu wollen.» Jedoch habe der Jugendliche keinen Ausweg gewusst: «Er steckte fest in einer Situation, die er mit seinen Nachrichten geschaffen hatte.»

Trotz Trauma weitere Treffen

Die Verteidigerin des Beschuldigten, Marlène Jacquey, wies dies zurück. Zwar habe ihr Mandant klar rechtswidrig gehandelt, jedoch seien die sexuellen Handlungen im Auto einvernehmlich gewesen. Nötigung habe es nicht gegeben.

Zudem habe es sich hier nicht um etwas Einmaliges gehandelt. So habe der Jugendliche bereits vorher einen um die 60 Jahre alten Mann für sexuelle Handlungen getroffen. Bei der Polizei habe er ausgesagt, dass er sich auf der Dating-Plattform eingeschrieben hatte, um neue Erfahrungen zu sammeln und Liebe zu machen. Nach den Geschehnissen im Auto, die ihn angeblich traumatisiert hatten, habe er sich auf einer weiteren Dating-Plattform für Männer angemeldet. «Grindr ist nicht für Unterstützung da, sondern für Sex», erklärte sie das Prinzip dieser zweiten Dating-App.

«Der Jugendliche beschwert sich über das Geschehene und sucht weiter», sagte die Anwältin und machte folgende Hypothese: Die Einstellung der Eltern zur Homosexualität verhindert, dass der Junge sich seine Anziehung zu Männern eingesteht. Sie nahm Bezug auf seine Aussage, dass es einfacher sei, von einer Vergewaltigung zu sprechen als von Sex mit einem Mann. «Letzteres wäre für ihn ein Coming-out.»

Zum Strafmass sagte die Verteidigerin, dass ein lebenslanges Tätigkeitsverbot unverhältnismässig sei. Ihr Mandant sei kein Sexualstraftäter, habe die Fakten nie abgestritten und von sich aus vom zweiten Jugendlichen erzählt. Auch einen Landesverweis lehnte sie ab: «Er ist gut integriert, hat hier Französisch gelernt und eine Ausbildung gemacht.» Durch einen Landesverweis könne der Mann seine Mutter nicht mehr unterstützen, die mangels Französischkenntnissen und einer kleinen Rente auf ihn angewiesen sei. Zudem würden die Familie und die türkischen Behörden durch einen Landesverweis von der Tat erfahren.

Die als bedingt ausgesetzte Haftstrafe ist ein ausreichend grosses Damoklesschwert über dem Kopf des Mannes.

Marlène Jacquey
Anwältin des Beschuldigten

«Grösste Dummheit begangen»

Weil die Polizei im Zuge der Ermittlungen beim Beschuldigten zu Hause einen Taser gefunden hatte, droht ihm auch eine Verurteilung wegen Verstosses gegen das Waffengesetz. Es handle sich um ein billiges Produkt aus einem Online-Shop, das nie funktioniert habe, sagte die Verteidigerin. Er wusste weder, dass er dieses Gerät noch zu Hause liegen hatte, noch, dass es eine Waffe ist, sagte der Beschuldigte.

«Ich habe die grösste Dummheit in meinem Leben begangen», war sein Schlusswort nach der über vierstündigen Verhandlung. Das Urteil wird demnächst gesprochen.

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