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Wie es ist, in Jaun jung zu sein

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In Jaun heissen alle gleich, die Meinungen sind konservativ, und der Dialekt ist urchig. Wie es ist, mit diesen Klischees aufzuwachsen, erzählen Florence Remy und Julia Mooser. Die jungen Frauen sind im gleichen Dorf, aber in zwei Welten zu Hause.

Durch Jaun führt eine Strasse. Sie zieht sich hoch vom französischsprachigen Charmey, heisst vor dem Jauner Gemeindegebiet La Tzintre und dann Hauptstrasse. In Jaun thront über der Strasse die Kirche, ihr gegenüber rauscht der Jauner Wasserfall. Vorbei an Holzhäusern schlängelt sich die Strasse über den Jaunpass und verschwindet dahinter im Bernbiet. An der Hauptstrasse wohnen Julia Mooser und Florence Remy. Ausser ihrem Wohnort haben die zwei jungen Frauen wenig gemeinsam. Sie sprechen darüber, wie es ist, in einem Dorf aufzuwachsen, das umgeben ist von Bergen und Französisch, und darüber, was das Dorf für sie besonders macht – besonders heimelig und besonders langweilig.

In einem 643-Seelen-Dorf ist es klar, dass sich Julia Mooser, 17-jährig, und Florence Remy, 18-jährig, kennen. Sie sind beide im Jugendverein. Dessen Präsident, Tiago Rauber, sagt: «Im Jugendverein ist man vom Beginn der Lehre bis zur Heirat.» Eine Lehre machen und heiraten: Gehört das zum Lebensplan von jungen Jaunerinnen? Was noch?

Die Arbeit. Julia Mooser steht um 4.30 Uhr auf. Sie arbeitet 12 Tage am Stück und hilft in der Freizeit auf dem elterlichen Milchwirtschaftsbetrieb. Die 17-Jährige ist im ersten Lehrjahr zur Milchtechnologin, umgangssprachlich Käserin. Ihr Lehrbetrieb ist die Käserei Bellegarde mitten in Jaun.

Julia Mooser arbeitet in der Freizeit gerne auf dem elterlichen Betrieb.
Simone Frey

Am Mittag ist ihre Schicht in der Käserei vorbei. Mit den Händen in den Taschen ihrer Daunenjacke und hochgezogenen Schultern wartet Julia Mooser beim vereinbarten Treffpunkt im Dorfzentrum. Es ist der erste Wintertag. Schneeflocken fallen auf ihr zusammengebundenes Haar. Zwei Strähnen hängen links und rechts über ihre Schläfen.

Die Kälte stört sie nicht. Julia Mooser lächelt ­– wenn sie redet, nachdenkt oder sich empört: über die Welschen und die Städter. «Mit den Welschen haben wir nicht viel zu tun», meint sie und schaut über ihre Schulter, Richtung Dorfausgang, Richtung Charmey. Über die Stadtfreiburgerinnen und -freiburger sagt sie: «In der Stadt tragen sie zerschlissene Hosen», hebt das Bein und zieht mit dem Zeigefinger eine Linie über ihren Oberschenkel. «Das ginge bei uns nicht.» Julia Mooser schüttelt den Kopf und lacht.

Arrogante Städter und wilde Bergler

Ihrem Lachen ist anzuhören: Sie nimmt Vorurteile gegenüber Personen ausserhalb der Gemeindegrenze nicht allzu ernst. Aber es gibt sie. Auch für sie, obschon nicht mehr so ausgeprägt wie vor ihrem Eintritt in die Orientierungsschule (OS) in Freiburg. «In der OS kam ich auf die Welt», sagt sie. Dort habe sie festgestellt: In Freiburg gibt es nicht nur Ausländer in zerschlissenen Jeans.

Die Vorurteile sind gegenseitig. Einer Mitschülerin aus der Stadt hatte Julia Mooser erzählt, dass sie ihre Wäsche im Dorfbach wasche. «Sie hat es geglaubt!», sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch, als könne sie die Unkenntnis der Kollegin noch immer nicht fassen.

Auch Florence Remy war voreingenommen. Sie glaubte, dass in der Stadt Freiburg die Menschen schlecht übereinander reden würden und die Frauen «Tussis» seien. Die Städter ihrerseits nannten Jaunerinnen und Jauner «les sauvages de Jaun» – die Wilden von Jaun. Florence Remy lacht darüber. Für sie war es eine Befreiung, in der Stadt in die OS zu gehen. «Es war faszinierend zu merken, dass so viele Menschen denken wie ich.» Der Treffpunkt für das Interview mit ihr liegt mitten in der Stadt. Jaun ist nicht mehr ihr Lebensmittelpunkt. Sie besucht das Kollegium Heilig Kreuz mit Schwerpunkt Spanisch, im Ergänzungsfach belegt die 18-Jährige Religionskunde.

Im Scheinwerferlicht fühlt sich Florence Remy wohl.
Simone Frey

Gesprächs- und Zündstoff

Die Schülerin trägt wie Julia Mooser zwei Haarsträhnen zur Schau. Sie sind blond gefärbt, als Kontrast zu ihrem dunklen Haar. Julia Mooser hatte im Vorfeld über Florence Remy gesagt, dass es sicherlich spannend sei, mit ihr zu sprechen. «Sie ist Vegetarierin», meinte sie. Darauf angesprochen, lacht Florence Remy und nickt. In ihrer Nase glitzert ein Septum-Piercing, ein Nasenring. Daran dreht sie sanft, wenn sie überlegt. Florence Remy denkt nach, bevor sie spricht. «Aus Gründen des Klimaschutzes macht es keinen Sinn, in Jaun Vegetarierin zu sein. Die Tiere sind von uns.» Für sie war es eine moralische Entscheidung, die aber unter Gleichaltrigen für Aufsehen gesorgt habe.

Auch wegen Julia Mooser ging ein Raunen durchs Dorf. Manche Gleichaltrige sprechen nicht mehr mit ihr. Sie hat einen Freund. Mit ihm ist die 17-Jährige seit zwei Jahren zusammen. Ihr Freund ist rund drei Jahre älter. Doch nicht nur aufgrund des Altersunterschieds ist ihre Beziehung aussergewöhnlich. In Jaun im Teenageralter eine Freundin oder einen Freund zu haben, ist selten. Das sagt auch Florence Remy: «Vermutlich liegt es daran, dass wir mit denselben Personen schon in den Kindergarten gingen.»

Zahlen und Fakten

Junge und ältere Personen

In der einzigen deutschsprachigen Gemeinde des Greyerzbezirks leben 643 Menschen. Die Einwohnerstatistik zeigt, dass Jaun kein Dorf der Alten ist. Es gibt fast ebenso viele Teenager und 21- bis 30-Jährige wie Personen zwischen 50 und 60 Jahren, auch wenn die 60- bis 70-Jährigen dominieren. sf

Jauner Gang

Neue Kontakte entstehen beim Übertritt in die Orientierungsschule. Mit dem Schulbus geht es dafür in rund 50 Minuten nach Freiburg.

Florence Remy besuchte zuerst zwei Jahre lang die OS im rund 20 Kilometer entfernten La Tour-de-Trême. Julia Mooser wechselte von der Primarschule direkt an die Freiburger OS. Wer wann und wo die OS besucht, hängt vom Jahrgang ab. Seit 2017 besuchen die Schülerinnen und Schüler von Jaun die Deutschsprachige Orientierungsschule Freiburg. Zwischen 2004 und 2017 wurden sie vier Tage die Woche in Jaun unterrichtet und gingen am fünften Tag nach La Tour-de-Trême.

Vielleicht ist die Schule fern vom Dorf Grund für den engen Zusammenhalt unter jungen Jaunerinnen und Jaunern. Florence Remy und Julia Mooser blieben zumindest am Anfang ihrer OS-Zeit unter Freunden aus dem Dorf. Zum Fototermin in der Schule trugen die Jaunerinnen und Jauner ein Edelweisshemd. In der Pause haben manche auch mal gejodelt. «Das Edelweisshemd war in der Schule von La Tour verboten. Zur Begründung hiess es, das laufe unter Gangverhalten», erinnert sich Florence Remy.

Politisch gegensätzlich

Florence Remy ist Politik wichtig. Sie positioniert sich links. Politisiert wurde sie aber nicht zu Hause. Ihre Eltern – Mutter Marlies Remy schreibt für die «Freiburger Nachrichten» den «Jaun-Blog» – bezeichnet sie als politisch «neutral». Prägend war ihre beste Freundin, Lara Rauber. Die Jaunerin ist 20 Jahre alt und hat mit ihrer Familie schon 42 Länder bereist. Am Telefon spricht sie wie Florence Remy: laut, schnell und pointiert.

Die zwei hatten für Ex-US-Präsident Barack Obama eine Kerze angezündet und Donald Trump ins All gewünscht. In ihrer OS-Zeit diskutierten sie rege. «Die Jaunerinnen und Jauner sind diskussionsfreudig», betont Lara Rauber. Beleidigend seien die Diskussionen nie, sagt sie. Deshalb wurden die zwei nicht zu Aussenseiterinnen. Für Florence Remy war es wichtig, eine Verbündete zu haben. «Allein wäre ich eher mit dem Wind gegangen.» Also waren es zwei gegen den Rest? «Ziemlich, ja», sagt Florence Remy für einmal, ohne nachzudenken.

Als konservativ beschreibt Florence Remy die Haltung der Menschen in Jaun. Auch Homophobie sei sie begegnet. «Da denke ich nur: Halt, stopp», und sie streckt die Handflächen nach vorn. Grundsätzlich klatscht sie ihre Meinung dem Gegenüber nicht ins Gesicht. «Es gibt viele Menschen in Jaun, die ich sehr gerne habe.» Streiten möchte sie nicht mit ihnen. Streit ging sie auch bei der Abstimmungskampagne der Initiative «Ehe für alle» aus dem Weg. Ihre Meinung tat sie schweigend kund und hängte ein Ja-Banner aus ihrem Fenster.

Im Kanton Freiburg wurde die Initiative mit rund 62 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Jaun war dagegen. Die FN schrieben: «Besonders deutlich war das Abstimmungsresultat in Jaun, wo fast 70 Prozent ein Nein in die Urne legten.» «Jùscht dunkelrot», nennt das Florence Remy.

Jauner Stolz

Sie schwimmt gerne gegen den Strom. Julia Mooser ihrerseits beobachtet aus der Distanz und wägt Pro und Kontra ab. Beim Thema Migration zeigt sich ihre Kompromisssuche beispielhaft. «Die Menschen können nichts dafür, dass sie flüchten müssen. Das tut mir leid.» Aber nach Jaun wünscht sie sich die Geflüchteten nicht. Weshalb? Sie wechselt in die erste Person Plural. «Wir haben das Gefühl, dass uns der Stolz genommen wird.»

Der Jauner Stolz spiegelt sich für Julia Mooser nicht zuletzt in der Folklore. Während sieben Jahren war sie im Jodlerklub und jodelt manchmal noch heute zu Hause. Ihr Freund spielt Schwyzerörgeli. Bei lüpfigem ¾-Takt bricht auch Florence Remys Widerstand. Tradition und politische Meinung sind für sie zweierlei. Auch sie war im Kinderjodlerchörli. Ihr Vater und ihr Bruder spielen beide Schwyzerörgeli.

Florence Remy jodelt nicht mehr, steht aber noch auf der Bühne. Sie ist Mitglied des Jungen Theaters Freiburg. In der Probe spricht sie mit ihrer Gruppe Englisch, rennt zu elektronischer Musik über die Bühne, dreht ihren Körper um die eigene Achse, schwingt die Arme in die Luft und sinkt zu Boden. Sie und ihre Gruppe machen bei einem Workshop in «Physical Theatre» mit – einer Theaterform, bei der hauptsächlich Körperbewegungen die Geschichte erzählen. Sich zu genieren, ist Florence Remy fremd, wie sie im folgenden Video erzählt:

Mit ihrer bunten Kleidung setzt Florence Remy ein Statement. Ihre roten Hochwasserhosen und das übergrosse Blumenhemd, das sie beim Treffen in der Freiburger Innenstadt trägt, passen nicht zur modernen «Jauner Tracht», die Julia Mooser wie folgt beschreibt: La-Sportiva-Schuhe, Strauss-Hosen und ein Edelweisshemd. «Für den Ausgang kann man die Arbeitskleider auch mal liegen lassen und Jeans anziehen», sagt Julia Mooser.

Für sie ist Arbeitskleidung kein Statement. Sie ist praktisch. Nach der Arbeit in der Käserei wechselt sie von den weissen in die schwarzen Gummistiefel, zieht sich einen Kapuzenpulli mit dem Kuh-Logo «Holstein Switzerland» über und geht in den Stall.

Hobby Melken

Sie hilft ihrem Vater, Edi Mooser, und ihrem Bruder, Dario Mooser, beim Misten und Melken. Melken sei neben Wandern und Skifahren ihr liebstes Hobby. Viel mehr gebe es in Jaun auch nicht zu tun, meint sie. «Volleyball», antwortet sie auf die Frage, was sie gerne machen würde. Sie schaut zu Boden. Fröhlich zeigt sich ihr Blick erst wieder, als sie von den Tieren spricht. Besonders angetan hat es ihr Calanda, ihre Lieblingskuh. Julia Mooser kichert, und ihr Lachen reicht bis zu den Ohren, wenn sie die Kuh tätschelt, wie im folgenden Video zu sehen ist:

Die Arbeit auf dem Hof erledigt Julia Mooser, ohne zu murren. Wenn sie keine Lust hat, muss sie nicht. Ihre Mutter, Miriam Mooser, erzählt, dass sie und ihr Mann die Kinder nie zur Mitarbeit gezwungen hätten. Ausser in den Sommerferien, da gehe es nicht anders. Helfende Hände hat die Familie Mooser einige. Julia Mooser hat elf Geschwister: Nathalie, Valentin, Silvan, Bernadette, Damian, Benjamin, Manuel, Dario, Amelie, Marco und Lorena. «Sie ist eine Fröhliche», sagt die Mutter über ihr viertjüngstes Kind. Aber Julia sei auch ein Teenager mit einem eigenen Kopf. «Stur», wirft die Tochter in der Küche beim Zvieri dazwischen.

Mit zwölf Kindern hatte die Mutter zu Hause einen Vollzeitjob. Für die Tochter ist klar, dass sie weiterarbeiten will, auch wenn sie einmal Kinder hat.

Nach der Schule eine Lehre

Ursprünglich wollte Julia Mooser Psychotherapeutin werden. Doch fürs Collège reichten die Schulnoten nicht. Bereuen tut sie es nicht. «In Jaun ist es normal, dass man eine Lehre macht.» Handwerkliches Können werde dem intellektuellen vorgezogen. «Mit der Lehre hat man etwas in der Hand.»

Wie viele junge Jaunerinnen und Jauner sich für eine Lehre entscheiden und wie viele ans Collège wechseln, ist nicht bekannt, wie der Jauner Gemeindeschreiber Aldo Buchs sagt. Florence Remy weiss aktuell von drei Jaunerinnen und Jaunern, die eines der drei Collèges in der Stadt Freiburg besuchen. «Ich hoffe, dass es mit der OS in Freiburg eher ein Thema wird, ans Collège zu wechseln.»

Florence Remy wollte ursprünglich eine Lehre machen. Ihr ältester Bruder Olivier ist Automatiker, der zweitälteste, André, Metzger. Die jüngere Schwester Rebecca ist in Ausbildung zur Serviceangestellten. Doch Florence Remys Interessen entsprach keine Lehrstelle. Ihrer Familie gegenüber hat sie den Übertritt ins Collège damit begründet, dass sie Journalistin werden wolle. Dieses Ziel hat sie nicht mehr. Das Collège war jedoch die richtige Entscheidung. So kam sie raus.

Für die Lehre wollte auch Julia Mooser weg – vor allem, um ihr Französisch aufzubessern. Doch eine passende Lehrstelle fand sie in Jaun. Mit ihren sechs Kollegen spricht sie Französisch. «Am Anfang dachte ich, dass ich wie die Männer arbeiten muss.» Mit ihren 1,60 Metern muss sie sich strecken. «Wenn ich die Harfe durch den Käsekessel ziehe, falle ich fast rein», sagt sie und hebt ihren Arm über den Kopf, um die Bewegung nachzumachen. Die Arbeit hat sich in ihre Hände eingraviert, sie weisen Kratzer auf, die Finger sind kräftig.

Jetzt bleibt sie. «Es ist logisch, dass ich in Jaun wohne», meint sie. Nach der Lehre als Milchtechnologin wird sie vielleicht die Meisterprüfung ablegen – oder eine zweite Lehre beginnen, als Bäckerin oder Köchin.

Florence Remy beendet das Collège im nächsten Sommer. Ihr schwebt für die Zeit danach eine Reise nach Südamerika vor. Was sie studieren will, ist noch nicht klar. Hauptsache in einer Stadt.

 

Kommentare (2)

  • 03.01.2022-Barbara Lauper

    Faszinierend – ein kleines Dorf in schönster Landschaft, zwei junge Frauen, Nachbarinnen, die ganz unterschiedliche Wege einschlagen und exemplarisch die Vielfalt von Lebensentwürfen in der kleinräumigen Schweiz repräsentieren – bereichernd und dazu ein Lesegenuss!

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