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Wie US-Agenten einen mutmasslichen Drogenboss in Aarau aufspüren

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Die amerikanische Bundespolizei hat über eine Tarnfirma «abhörsichere» Handys an Kriminelle verteilen lassen – und erwischt damit die selbst ernannte Nummer 1 der Schweiz. Nur: Darf die Staatsanwältin diese Beweise verwenden?

Frühling 2018 in Bellingham, einer US-Küstenstadt in der Nähe der kanadischen Grenze: Vincent Ramos sitzt alleine in einem Fast-Food-Lokal, als ihn das FBI verhaftet. Er wehrt sich nicht. Der Restaurantbesitzer beschreibt ihn gegenüber einer Lokalzeitung als «sanftmütigen Typen».

Ramos ist der Chef der kanadischen Firma Phantom Secure. Sie hat für kriminelle Organisationen ein Kryptohandy entwickelt, mit dem diese verschlüsselt kommunizieren können. Nach der Verhaftung gewährt er den Ermittlern Zugang zu seinem IT-System.

Zudem heuert die Strafverfolgungsbehörde einen Entwickler der Firma als Undercover-Agenten an. Dieser arbeitet gerade an der nächsten Generation eines verschlüsselten Chatsystems für kriminelle Organisationen. Es heisst Anom.

Die Chatfunktion ist in der Taschenrechner-App versteckt und wird erst nach der Eingabe eines Zahlencodes sichtbar. Weitere Funktionen zum Telefonieren, SMS-Verschicken oder das Navigationssatellitensystem GPS fehlen, damit die Geräte nicht so einfach zu orten sind. Dafür hat das Gerät einen «Kill Switch»: Auf Knopfdruck lassen sich alle Daten beziehungsweise Beweise löschen.

Das FBI gründet eine Tarnfirma in Panama und bringt die Anom-Geräte zuerst in Australien auf den Markt – gemeinsam mit der australischen Bundespolizei. Die Ermittler haben die App so programmiert, dass die Nachrichten auf Servern der Polizei gespeichert werden und später entschlüsselt werden können. Ein australischer Agent soll die Idee gemäss Medienberichten bei einem Bier mit FBI-Kollegen lanciert haben.

Die Agenten lassen die Geräte über das ehemalige Vertriebsnetz von Phantom Secure verteilen. Die Zwischenhändler wissen selber nicht, dass sie eine Kryptofalle verkaufen. Über Mundpropaganda verbreitet sich Anom in kriminellen Organisationen.

So entsteht die bisher grösste internationale Polizeiaktion gegen das organisierte Verbrechen. Das FBI tauft sie «Trojan Shield»: Wie im trojanischen Pferd der griechischen Mythologie schleichen sich die Ermittler unbemerkt ins Zentrum der Gegenseite.

Doch ganz unbemerkt bleiben die Datenbewegungen im System nicht. Nutzer der Anom-App stellen in Onlinebeiträgen die Sicherheit infrage. Die Zeit drängt.

Deshalb lassen das FBI und seine Partner ihre Kryptofalle im Juni 2021 zuschnappen. In 18 Monaten haben sie 27 Millionen Nachrichten von 12’000 Geräten gespeichert. 300 kriminelle Banden in über 100 Ländern nutzen sie. Dann schlagen Einsatzkommandos in 16 Ländern gleichzeitig zu: Sie verhaften 800 Verdächtige und beschlagnahmen 8 Tonnen Kokain, 22 Tonnen Cannabis und 250 Waffen. Bisher nicht bekannt: Auch in der Schweiz führt die Aktion zu Ermittlungen.

Die Nummer 1 der Schweiz? Oder nur eine grosse Klappe?

Die Aargauer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Anom-Nutzer in ihrem Gebiet: Mehmet P. (Name geändert), einen heute 30-jährigen schweizerisch-türkischen Doppelbürger aus Aarau.

Die Aargauer Polizei kennt ihn bereits. Bei einer Verkehrskontrolle im April 2021 in Spreitenbach hat sie einen Drogenkurier erwischt, der angibt, für ihn zu arbeiten. Dieser erzählt auch, woher die vier Kilo Kokain mit einem Strassenverkaufswert von mehreren hunderttausend Franken stammen, die die Polizei bei einer Hausdurchsuchung findet: zumindest teilweise von Mehmet.

Im Mai 2021 starten die Aargauer deshalb eine eigene Überwachung. Die Staatsanwaltschaft lässt sein Schweizer Handy abhören und einen GPS-Tracker an seinem Auto mit Aargauer Nummernschild anbringen. Diese Überwachungen bewilligt das Zwangsmassnahmengericht. Später genehmigt es auch GPS-Tracker an zwei Lieferwagen, mit denen er Marihuana aus Spanien importiert haben soll.

Obwohl die Anom-Plattform aufgeflogen ist, fühlt sich Mehmet P. in der Schweiz sicher. Seiner Verlobten verspricht er eine goldene Zukunft und reserviert den gediegenen Trauungssaal im Stadtmuseum Aarau für ihre Hochzeit.

In einem weiteren abgehörten Gespräch mit einem Komplizen prahlt er, in Zukunft «15’000 bis 20’000 Stutz» im Monat verdienen zu können – «mit praktisch nichts tun». Er äussert sich stolz über ihre Karriere in der kriminellen Organisation. Europaweit hätten vielleicht 270 Leute etwas zu sagen. Sie seien dabei «Top 6» oder «Top 7» und in der Schweiz «ganz klar die Nummer 1». Die Staatsanwaltschaft geht deshalb von einem internationalen Kokainhandel im grossen Stil aus.

Am 22. Februar 2022 nimmt die Polizei Mehmet P. fest. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Zu den abgehörten Gesprächen gelte das Sprichwort «Grosse Klappe, nix dahinter», sagt er. In einem Schreiben fasst er seinen Lebenslauf zusammen. Er betont, dass er in Aarau geboren und aufgewachsen sei und hier eine kaufmännische Lehre absolviert habe. Später habe er Betriebswirtschaft studiert und in der Schreinerbranche gearbeitet.

Mehmet P. bezeichnet sich als «Vollblut-Aarauer», der hier verwurzelt sei. Damit will er die Fluchtgefahr kleinreden. Doch das Zwangsmassnahmengericht bezeichnet diese Aussagen als «Lippenbekenntnisse». Es befürchtet auch, dass er seine Aussagen bei einer Freilassung mit seinen Kollegen absprechen werde. Denn in einer Einvernahme sagt er auch, wer «singe», sei ein toter Mann. Ansonsten hält er sich an die Strategie seines Anwalts und verweigert die Aussage.

Ein seltener Einblick in kriminelle Organisationen

Normalerweise erwischt die Polizei nur die Dealer auf der Strasse. Die kriminelle Organisation dahinter bleibt im Verborgenen. Auch im Fall von Mehmet P. kann die zuständige Staatsanwältin mit ihren eigenen Mitteln nicht herausfinden, mit welchen Mengen Kokain und Marihuana er gehandelt haben soll. Dies sollen die Anom-Daten zeigen, die sie über Rechtshilfe aus den USA erhalten hat.

Denn die internationale Aktion hat ein Problem. In den USA besteht dafür keine gesetzliche Grundlage. Das FBI lanciert die Operation deshalb im Ausland und nutzt ausländische Server. Diese sollen sich in Litauen befinden, wo ein Gericht die Überwachungsaktion bewilligt haben soll – allerdings nur vorübergehend. Das FBI hält Informationen dazu geheim, weil es dem Land Vertraulichkeit zugesichert habe.

Darf die Justiz solche Beweise verwerten, die das FBI und ihre Partnerinnen ohne rechtliche Grundlage erhoben haben? Die Staatsanwältin versucht es zuerst mit einem Antrag beim Zwangsmassnahmengericht, das die Anom-Daten als Zufallsfund genehmigen soll. Dieses erteilt kurz darauf grünes Licht.

Doch das Obergericht erklärt diese Verfügung für «nichtig». Denn nur bei einer Überwachung in der Schweiz könnten solche Daten als Zufallsfund eingestuft werden. Bei einer ausländischen Überwachung hingegen wird erst das Sachgericht klären, ob die Beweise verwertbar sind. Der Entscheid ist damit vertagt. Das Bundesgericht bestätigt dies nun. Es ist das erste Mal, dass sich das höchste Gericht zum Umgang mit Anom-Daten äussert.

Das Bundesgerichtsurteil bedeutet, dass die Staatsanwältin die Anom-Daten jetzt auswerten darf. Im Hauptverfahren wird die grosse Frage dann sein, ob Beweise aus einer Polizeiaktion ohne Gesetzesgrundlage in der Schweiz zulässig sind.

Eine ähnliche Frage stellte sich schon beim ersten Gerichtsverfahren mit Sky-ECC-Daten in der Schweiz. Sky-ECC war ebenfalls eine Art Whatsapp für Kriminelle. Die französische Polizei hackte diese und las die Nachrichten mit. Damit erhielt ein europäisches Ermittlungsteam einen tiefen Einblick in das organisierte Verbrechen.

Bei diesem Strafverfahren gegen einen Drogenboss aus Basel liess das Basler Strafgericht die Daten der ausländischen Überwachungsaktion zu. Ein Grund dafür ist, dass ein französisches Gericht die Aktion bewilligt hat. Denn die Polizei handelte aufgrund eines dringenden Tatverdachts.

Im Fall von Anom hingegen liegt keine Bewilligung eines amerikanischen Gerichts vor. Die Überwachung lieferte erst den Tatverdacht – und nicht wie üblich umgekehrt. Wer nicht dringend eines schweren Verbrechens verdächtigt wird, darf eigentlich nicht überwacht werden.

Strafverteidiger spricht von illegaler Lauschaktion

Kenad Melunovic ist der Verteidiger von Mehmet P. und spricht von einem Täuschungsmanöver des FBI, das den europäischen und schweizerischen Rechtsprinzipien widerspreche, dem sogenannten Ordre public: «Die Operation ‹Trojan Shield› ist eine Lauschaktion, die alle völkerrechtlich garantierten Verfahrensrechte umgangen hat.»

Bis der Fall vor Gericht kommt und dieses die Beweisfrage klärt, werden wohl noch viele Monate verstreichen. Und danach werden Jahre vergehen, bis das Ober- und Bundesgericht die definitiven Antworten liefern. Deshalb sitzt Mehmet P. immer noch in Untersuchungshaft.

Im Kern geht es um die Frage: Heiligt der Zweck die Mittel?

Wäre der Fall ein Agententhriller, würde sich das Publikum über die List des FBI uneingeschränkt freuen. Denn die Polizei kann plausibel darlegen, dass die Anom-Geräte hauptsächlich unter Kriminellen kursierten. Die Massenüberwachung traf also die Richtigen. Wer will da schon so kleinlich sein und auf Paragrafen herumreiten?

In einem Strafverfahren geht es allerdings genau darum: die Regeln des Rechtsstaats durchsetzen. Wenn nun aber nicht einmal die Ermittler diese einhalten, verlieren sie ihren Status als Gesetzeshüter. Fehlen ihnen wichtige Überwachungsmöglichkeiten, müssten sie diese auf rechtsstaatlichem Weg organisieren, anstatt sie sich heimlich zu holen.

In Deutschland untersagt das Landgericht Memmingen in Bayern im August 2023 die Verwertung von Anom-Daten deshalb erstmals in einem Strafverfahren. Die Bewilligungen, die sich das FBI im Ausland eingeholt hat, bezeichnet das Gericht als «Befugnis-Shopping». Ausserdem müsse in einem Rechtshilfeverfahren, über das die Daten aus den USA nach Europa gelangen, ein gegenseitiges Vertrauen bestehen. Davon könne keine Rede sein, wenn der Staat des Serverstandorts anonym bleiben wolle.

Der deutsche Fall hat allerdings eine Besonderheit: Die Anklage stützt sich ausschliesslich auf Anom-Daten. Andere Beweise existieren nicht. Das ist im Aargauer Pilotfall anders. Die Aargauer Staatsanwaltschaft hat eigene Beweise erhoben, braucht aber die Anom-Daten, um das Ausmass des mutmasslichen Drogenhandels aufzuzeigen.

Und dennoch sässe Mehmet P. vermutlich jetzt nicht im Untersuchungsgefängnis, hätte das FBI vor vier Jahren nicht einen kriminellen CEO in Bellingham verhaftet und die Operation «Trojan Shield» lanciert.

Mehmet P. hat sich seine Geschichte ganz anders vorgestellt. Zu seiner Verlobten hat er gesagt, falls er verhaftet werde, käme er nach drei Monaten mangels Beweisen wieder frei. Nun sind daraus bereits zwei Jahre geworden.

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