Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

«Debatte sollte sich versachlichen»

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on print

Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Der Jihad, oft als «Heiliger Krieg» übersetzt, ist spätestens nach den Anschlägen in Paris und Brüssel in aller Munde. Die jungen Muslime, die in Europa aufgewachsen sind, sich radikalisieren und im Namen des Islamischen Staates IS Terroranschläge verüben, wecken in der Bevölkerung Ängste. Und sie schüren ein generelles Misstrauen gegen muslimische Gemeinschaften in Europa.

Aus der Schweiz sindlaut Nachrichtendienst des Bundes seit 2001 rund 70 Personen in den Jihad gereist, gemäss Bundesamt für Statistik lebten 2014 rund 380 000 Muslime in der Schweiz.

Das Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg führt seit gestern ein zweitägiges Weiterbildungsseminar durch mit dem Titel: «Die Radikalisierung verstehen, um ihr vorzubeugen». Es richtet sich an Leute, die in den Bereichen Bildung, Sicherheit und Sozialarbeit tätig sind (siehe Kasten unten rechts). Referenten sind Religionswissenschaftler, Mediatoren, eine Professorin für soziale Arbeit, Imame und eine Französin, deren 16-jährige Tochter in den Jihad gezogen ist.

 Geringeres Risiko

«Meist greift man heute ein, wenn die Radikalisierung schon zu Gewalt geführt hat», sagt Mallory Schneuwly Purdie, Religionswissenschaftlerin am Zentrum für Islam und Gesellschaft und Organisatorin des Seminars. Die grosse Frage sei jedoch, ob man nicht früher eingreifen könnte. Schneuwly hält fest, dass in der Schweiz das Risiko für eine Radikalisierung kleiner sei als etwa in Frankreich oder Belgien: «Es gibt hier weniger Ghettos und keine Quartiere, in denen die Arbeitslosigkeit über 50 Prozent beträgt, wie dies in Paris und Brüssel der Fall ist.»

Auch sei die Herkunft der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz diverser, als etwa im belgischen Quartier Molenbeek, wo Muslime eher eine Einheit bildeten. Dennoch bestehe das Risiko für Radikalisierung: «Gewisse junge Muslime fühlen sich diskriminiert, und sie sind es auch. Sie leiden unter der öffentlichen Debatte und haben Mühe, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Das kann zu Frust führen.»

Religion ist nur ein Teil

Wann ist jemand radikal? «Darüber sprechen wir am Seminar, jeder Teilnehmer hat wohl eine eigene Vorstellung davon», sagt Schneuwly. Radikal zu sein bedeute nicht, ein Kopftuch zu tragen oder fünfmal pro Tag zu beten. «Radikalität beginnt dann, wenn jemand eine andere Meinung nicht akzeptieren kann. Wenn jemand denkt, seine Art zu denken und zu leben sei die einzig richtige, und verlangt, dass alle anderen gleich denken», sagt Schneuwly.

In der aktuellen Debatte würden Radikalität und Islam oft gleich gesetzt. Die Religion sei jedoch nur ein Teil der Radikalisierung. «Der Islam hat Texte, um Gewalt zu legitimieren. Aber das genügt nicht, denn Radikalität hat es immer gegeben, unabhängig von der Religion.» Die geopolitische Situation spiele ebenfalls eine Rolle. Die Kolonialisierung habe bei vielen Menschen der afrikanischen und arabischen Länder Frust ausgelöst. Zudem spielten strukturelle Faktoren im Innern eines Landes eine Rolle, so Mallory Schneuwly. «Arbeitslosigkeit und eine öffentliche Debatte, die diskriminiert, das kann Radikalisierung begünstigen.»

Muslime als Partner

Am Seminar referieren drei Imame. «Sie sprechen einerseits über die Bedeutung des Jihads, andererseits über Koran-Verse, die problematisch sein können», sagt Schneuwly. Die Imame würden diese in den Kontext setzen und auch erklären, wie sie in ihrer Gemeinschaft über diese sprechen. Imame seien Schlüsselpersonen in der Prävention von Radikalisierung. «Die muslimische Gemeinschaft vertraut ihnen.»

Und um Radikalität vorzubeugen, müssten Schweizer Behörden die Muslime als Partner ansehen. «Sie sind die Experten, sie kennen die Ängste und die Wut, den eine Flucht oder Diskriminierung auslösen kann», sagt Schneuwly. Und: «Die ganz grosse Mehrheit der Muslime in der Schweiz verurteilt Radikalisierung und Gewalt im Namen des Islam.»

Schwierig sei, dass sich Jugendliche, die radikal werden, selten an den Imam oder ihre religiöse Gemeinschaft wenden. «Sie wollen keine Antworten vom Imam und auch keine Bücher lesen, die es in den Moscheen gibt.» Lieber machten sie sich übers Internet ein Bild des vom IS propagierten «reinen Islams». Oft sei den Jugendlichen kaum anzumerken, dass sie sich veränderten: «Sie trinken in der einen Woche Bier, und in der darauffolgenden werden sie radikal.»

 Das Internet und soziale Netzwerke sind laut Mallory Schneuwly ein grosses Problem, wenn es um Radikalisierung von Jugendlichen geht, da es schwierig sei, dort einzugreifen. «Was kann man punkto Internet tun? Das ist eine der grossen Fragen.»

 Und was kann die Schweiz tun? Für Schneuwly gibt es verschiedene Handlungsebenen: «Der Staat muss einen Rahmen für gute Integration bieten, etwa mit Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen. Migranten müssen sich integrieren wollen, und die Gesellschaft muss ihnen einen Platz geben.» Angesichts der zunehmenden Migration sei es wichtig, keine Ghettos zu schaffen. «Und die Debatte sollte sich versachlichen.» So könnte das Gefühl der Diskriminierung verkleinert werden.

Dialog statt Verbot

Auch sei es wichtig, mit Muslimen auf Augenhöhe zu diskutieren. Als Beispiel nimmt Schneuwly hierfür den Fall aus Baselland, wo zwei Schüler der Lehrerin aus religiösen Gründen den Handschlag verweigerten. «Da braucht es eine Mediation.» Die jungen Muslime müssten lernen, sich anzupassen, doch Verbote könnten das Gegenteil auslösen von dem, was man erreichen möchte. «Die Jugendlichen sollen begründen können, weshalb sie die Hand nicht geben wollen. Und dann ist es wichtig, ihnen zu erklären, weshalb der Händedruck bei uns dazugehört und eine andere Bedeutung hat als in der muslimischen Tradition. Durch den Dialog kann man viel erreichen.»

Zentrum: Weiterbildungen entsprechen einem Bedürfnis

D as Seminar «Die Radikalisierung verstehen, um ihr vorzubeugen» ist eines der ersten Weiterbildungsseminare, welches das Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg anbietet. Und es stösst auf Interesse: Das jetzige Seminar ist mit 20 Teilnehmern voll besetzt, und die weiteren Kurse zum selben Thema im Herbst und Winter sind ebenfalls ausgebucht. Eine Erhebung des Zentrums hat gezeigt, dass generell ein grosses Bedürfnis nach Weiterbildungsangeboten besteht; bei staatlichen Akteuren und bei Muslimen (die FN berichteten).

Das Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft hat seinen Betrieb im Januar 2015 aufgenommen; nächsten Monat wird es die offizielle Eröffnung feiern. Das Zentrum hatte zu Beginn politischen Widerstand ausgelöst, und die Freiburger SVP deponierte im Juli 2015 eine Initiative mit rund 8700 Unterschriften gegen das Zentrum. Im März diesen Jahres erklärte der Grosse Rat die Initiative jedoch für ungültig, da sie diskriminierend sei. Die SVP hat nun noch wenige Tage Zeit zu reagieren, wenn sie den Entscheid des Parlaments vor Bundesgericht anfechten will. «Wir haben noch nichts beschlossen», sagt der Freiburger SVP-Präsident Roland Mesot dazu auf Anfrage der FN. mir

Teilnehmer: Gefängnisdirektor und Integrationsbeauftragter

Z u den 20 Teilnehmern am Seminar des Zentrums für Islam und Gesellschaft gehören neben Interessierten aus allen Westschweizer Kantonen auch der Direktor der Strafanstalten Bellechasse, Franz Walter, und der Freiburger Integrationsbeauftragte Bernard Tétard.

Die Hälfte der Insassen von Bellechasse seien zumindest auf dem Papier Muslime, erklärt Franz Walter seine Beweggründe, am Seminar teilzunehmen. «Und das Risiko, sich zu radikalisieren, ist im Gefängnis besonders hoch.» Viele der muslimischen Insassen hätten meist nur eine oberflächliche religiöse Bildung und verfügten aufgrund vieler Niederlagen im Leben über ein tiefes Selbstwertgefühl. «Sie sind anfällig für Hassparolen», so Walter. Dennoch gebe es nur wenige Fälle von Radikalisierung, da Bellechasse bereits viel gegen das Phänomen tue: Das Personal begleite die Gefangenen nahe, so würden Veränderungen rasch auffallen. Zudem arbeite das Gefängnis eng mit einem gut ausgebildeten Imam zusammen. «Er kann eingreifen und falsche Interpretationen des Korans klären.» Da der Imam denselben kulturellen Hintergrund hat und dieselbe Sprache spricht, fassten die Insassen schnell Vertrauen zu ihm. Das aktuelle Seminar schätzt Walter, weil es einen guten Einstieg ins Thema biete. Er hoffe, dass das Zentrum künftig Kurse mit hohem Praxisbezug für spezifische Berufsgruppen anbietet.

Indirekt in Kontakt mit Radikalisierung kommt Bernard Tétard. Die muslimischen Gemeinschaften gelangen mit Fragen zu ihm: «Sie wollen etwas gegen die Radikalisierung tun», sagt er. Es sei wichtig, sich über das Phänomen zu informieren, das Zentrum biete dafür einen guten Rahmen. «Alle Akteure müssen zusammenarbeiten, damit die Prävention funktionieren kann», so Tétard. mir

Meistgelesen

Mehr zum Thema