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Er hat die Pest im Mittelalter untersucht und findet: «Wir könnten gelassener mit der Corona-Krise umgehen»

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Der Historiker Volker Reinhardt hat ein Buch zur Pest im Mittelalter geschrieben.
Corinne Aeberhard

Während des ersten Lockdown im letzten Jahr hat der Historiker Volker Reinhardt von der Universität Freiburg ein Buch zur Pest im Mittelalter geschrieben. Ein Gespräch über Vergleiche mit der Corona-Pandemie, individuelles Erleben und Egoismus.

Die Pest brach im Mittelalter als brutale Naturgewalt über die Europäerinnen und Europäer herein. Von 1347 bis 1353 wütete sie auf dem Kontinent und kostete Schätzungen zufolge mindestens einem Viertel der gesamten Bevölkerung das Leben. Gegenmittel gab es nicht, für die Menschen damals blieb die Krankheit mysteriös. Erst im 19. Jahrhundert wurde das Bakterium, welches für die Seuche verantwortlich war, entdeckt und auch, dass Flöhe eine grosse Rolle bei deren Verbreitung spielten. Der Freiburger Historiker Volker Reinhardt beschäftigt sich in seinem neusten Buch mit der Seuche – und damit, was diese mit den Menschen damals machte.

Volker Reinhardt, ist es Zufall, dass Sie gerade jetzt ein Buch zur Pest im Mittelalter veröffentlichen?

Nein. Das Buch ist unter dem Eindruck der Corona-Krise im letzten Frühling entstanden. Es war tatsächlich ein Lockdown-Projekt.

Warum sollte man gerade jetzt ein Buch zur Pest lesen? Viele Leute sind doch ziemlich Pandemie-müde.

Nichts ist süsser als überstandener Schrecken. Der Vergleich mit einer schlimmeren Situation ist ja auch das Prinzip von Thrillern oder Horrorfilmen. Die Mortalität der Pest im Mittelalter war um ein Vielfaches höher als heute bei der Corona-Pandemie. Mindestens ein Viertel der europäischen Bevölkerung wurde dahingerafft. Dazu kam eine komplette Ratlosigkeit, die Leute waren ausgeliefert. Heute wissen wir zumindest, dass wir es mit einem Virus zu tun haben, und wir haben Impfungen entwickeln können.

Wenn wir schon bei den Vergleichen sind: Sehen Sie Parallelen zwischen der Corona-Pandemie und der Pest im Mittelalter?

Die Pandemien trafen die Menschen damals wie heute unvorbereitet. Beide Male traf es die unteren sozialen Schichten härter als Reichere. Und für die einzelnen Menschen führte die Seuche damals – wie heute – zu einem Verlust der alltäglichen Sicherheiten. In den Pest-Berichten, die ich gelesen habe, war vielfach die Rede davon, dass sich die öffentliche Ordnung komplett aufgelöst habe. Ich glaube aber nicht, dass dem so war, genauso wie sie sich heute nicht aufgelöst hat.

Warum glauben Sie das nicht?

Einerseits gibt es keine Evidenz von Hungersnöten – und die hätte es gegeben, wenn die öffentliche Ordnung zusammengebrochen wäre und der Handel nicht mehr funktioniert hätte. Zudem muss man diese Pest-Berichte mit einem kritischen Filter lesen. Viele wurden erst Jahre, wenn nicht Jahrzehnte nach der Pandemie geschrieben. Die Autoren dieser Berichte übersteigerten die Geschehnisse stark. Das war ein Mittel, um die Krise zu bewältigen. 

Stichwort Bewältigung: Welche Erklärungen gab es für die Pest?

Die Pest wurde als Gottesstrafe gesehen. Die offizielle Theorie lautete, dass Gott giftige Luft geschickt habe. Für die Menschen war das schwierig zu verstehen: Was konnten sie nur so furchtbar falsch gemacht haben, dass Gott sie so sehr strafte? Hinzu kam, dass die Geistlichen die Versöhnung mit Gott offensichtlich nicht herbeiführen konnten, denn die Pest dauerte an. Die Menschen versuchten, die Versöhnung mit Gott selbst in die Hand zu nehmen. Damit lassen sich die Geisslerzüge und auch die schrecklichen Judenpogrome erklären. Das Unerklärliche musste erklärt werden.

Gab es Massnahmen der Obrigkeit zur Bekämpfung der Seuche?

Kaum. Was will man auch gegen giftige Luft tun? Man rief die Leute auf, zu Hause zu bleiben, und entgegen der offiziellen Theorie merkten die Menschen bald, dass Isolation hilft. Isolieren konnten sich damals aber nur die Reicheren. Eine grosse Ausnahme bildete Mailand: Dort setzte der herrschende «signore» Luchino Visconti eine rigorose Abschottung durch, und die Stadt blieb dadurch nahezu Pest-frei.

Auch die heute viel zitierte Quarantäne geht auf die Pest zurück.

Genau. Schiffe vor Venedig mussten ab dem 15. Jahrhundert 40 Tage in der Lagune bleiben, bevor die Besatzung an Land durfte. Vom italienischen «quaranta» stammt der Begriff «Quarantäne» ab.

Im Mittelalter standen die Menschen der Pest machtlos gegenüber, heute wissen wir viel mehr und können handeln. Welche ethischen Pflichten ergeben sich daraus?

Ich glaube, wir sollten gelassener und ausgewogener mit der Krise umgehen. Ich würde zu mehr Coolness raten – ohne die Krankheit und die Folgen der Pandemie verharmlosen zu wollen. Da nehme ich auch die Medien in die Pflicht: Weniger Schreckensszenarien und ausgewogenere Berichte wären gut. Und Experten täten gut daran, einzugestehen, dass sie gewisse Dinge nicht wissen.

Inwiefern?

Experten machen heute teils völlig gegensätzliche Aussagen. Da wäre es besser, zuzugeben, was man nicht weiss, und auf die Mündigkeit der Bürger zu zählen, statt sie bevormunden zu wollen. Gerade weil wir in sichereren Verhältnissen leben.

Der Untertitel Ihres Buches lautet «Wie die grosse Pest die Welt veränderte». Wie hat sie sie denn verändert?

Fest steht, dass die Pest keine neue Epoche einleitete. Aber es gab natürlich grosse Veränderungen, nur schon durch die Tatsache, dass so viele Menschen gestorben waren. Für die unteren Schichten wurde die Situation kurzfristig besser, weil Arbeitskraft gefragt war. Neue Familien strebten empor, während andere gänzlich ausstarben. Die Gesellschaft wurde zudem konservativer, es gab eine grosse Sehnsucht nach Ordnung und Vergessen. 

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Corona-Pandemie?

Ich glaube nicht, dass wir künftig die Zeit in ein «Vor-Corona» und «Nach-Corona» einteilen werden. Der Wille, zu vergessen und zurück zur Normalität zu finden, wird zu gross sein. Corona wird daher eine Episode bleiben. Aber das gilt nur, wenn wir relativ glimpflich aus dem Ganzen herauskommen. Sollte das Virus immer wieder in verschiedenen Mutationen zurückkommen, sieht es ganz anders aus.

Es gibt Stimmen, die hoffen, dass wir als bessere Menschen aus der Pandemie gehen.

Die gab es bereits bei der Pest im Mittelalter. Ich glaube aber, dass die Pandemien eher gerade das Schlechte im Menschen hervorbringen. In Krisen reduzieren sich Empathie und Vernunft. Wenn es ums Überleben geht, wird man egoistisch.

Zur Person

Professor für neuzeitliche Geschichte

Volker Reinhardt lehrt seit 1992 an der Universität Freiburg als Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit. Davor hat der Norddeutsche in Kiel, Freiburg im Breisgau sowie Rom studiert. Er hat sich auf die Geschichte Italiens in der Renaissance spezialisiert und dazu sowie zu anderen Themen zahlreiche Bücher publiziert. Für seine Arbeit erhielt er mehrere Auszeichnungen. Sein neuestes Werk «Die Macht der Seuche. Wie die grosse Pest die Welt veränderte 1347–1353» ist seine 22. Monografie beim Verlag C.H. Beck. 

Serie

Ein Jahr Corona-bedingter Lockdown

Vor einem Jahr haben die Behörden die ersten Massnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie ergriffen. In einer Serie blicken die FN mit verschiedenen Freiburgerinnen und Freiburgern zurück. Auch von unseren Leserinnen und Lesern wollen wir wissen: Wie haben sie das Jahr erlebt? Was war für sie sinnbildlich für diese Zeit? Teilen Sie kurze Texte, Fotos und Videos mit uns und schicken Sie uns diese unter Angabe von Name und Wohnort an redaktion@freiburger-nachrichten.ch. Eine Auswahl werden wir auf unseren Kanälen publizieren.

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