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Sexbars und Baustellen: Wie sich das Netz der Menschenhändler ausbreitet

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Menschenhandel ist besonders zynisch und lukrativ, die Visumsfreiheit für Kosovo verleiht ihm derzeit zusätzlich Schub. Kriminelle Akteure nutzen Synergien und setzen sich immer mehr in «legalen» Strukturen fest.

«Wir haben gewarnt», sagt ein Strafverfolger. Gewarnt davor, dass die Visumsfreiheit für Menschen aus Kosovo Probleme mit Missbräuchen verschiedenster Art noch verschärfen wird. Dass kriminelle Strukturen sich weiter ausbreiten.

Kosovarinnen und Kosovaren dürfen seit Anfang Jahr visumsfrei in die Schweiz und die EU einreisen und sich «für Kurzaufenthalte» von bis zu 90 Tagen hier aufhalten. Einer Erwerbstätigkeit dürfen sie nicht nachgehen, theoretisch. Eine kriminelle Minderheit aus dem Balkan kümmert das nicht. «Wir haben seit der Visumsfreiheit für Kosovo zunehmend Probleme mit Schwarzarbeit auf den Baustellen», sagt zum Beispiel Alexander Ott, Chef der Berner Fremdenpolizei.

In der Ostschweiz beobachtet ein Kontrolleur der Gewerkschaft Unia, dass Kosovaren seit Anfang Jahr vermehrt über Italien und italienische Firmen hierher gelangen und schwarzarbeiten.

Das Phänomen geht nahtlos in eine der übelsten Formen des Menschenhandels über, in die Zwangsprostitution. Seit Januar mieten in einer Stadt in der Deutschschweiz laut Beobachtern Leute aus dem Kosovo billige Wohnungen an. Diese würden zunächst von Landsleuten genutzt, die schwarz hier arbeiten. Anschliessend diene die Wohnung als Wohnungsbordell. Hier werden also perfid Synergien genutzt. Bordelle in Mietwohnungen, sogenannte Wohnungsbordelle, gibt es immer mehr.

Es sind oft ausländische Mieter und Mieterinnen, welche die Zimmer an eigene Landsleute untervermieten. Besonders betroffen sind Städte, in welchen die Wohnungsmieten im gesamtschweizerischen Vergleich noch tief sind. Zuhälter, Loverboys oder Agenturen bringen hier Frauen unter, die sie als Prostituierte ausbeuten.

Selbst wenn die Frauen korrekt beim Arbeitsamt des jeweiligen Kantons angemeldet werden, heisst dies laut Beobachtern noch lange nicht, dass sie nicht Opfer einer ausbeuterischen Situation geworden sind. «Viele städtische Behörden sind mit der Zunahme von Wohnungsbordellen überfordert und es fehlt ihnen ein Kontrollwerkzeug», sagt ein Kenner der Szene. Das führe dazu, dass vielfach keine Umnutzungsbewilligungen vorliegen.

Seit der Covid-Krise hat sich die Prostitution «sehr stark in den privaten Raum verlagert», sagt der Berner Fremdenpolizeichef Alexander Ott. In Hotels, Aparthotels, Selbstbedienungshotels, Airbnb, Mietwohnungen, Pop-up Hotels. Herkömmliche Bordelle seien am Aussterben, was die Bekämpfung dieser Art von Kriminalität stark erschwere. Unter anderem, weil die Polizei Privaträume nicht betreten darf, ausser sie hat einen konkreten Verdacht.

Alexander Ott, Chef der Berner Fremdenpolizei
Bild: zvg

Vermieter geben sich unwissend und kassieren ab

Eine Person, die sich um Opfer kümmert, sagt: In der Deutschschweiz würden Wohnungsbordelle häufig von Ungarn, Rumänen, Südamerikanern, Asiaten, der nigerianischen Mafia oder Personen aus dem Balkan betrieben. Die südamerikanischen Zuhälter erhielten ihre Pässe oft in Italien oder Spanien.

Die Besitzer der Liegenschaften, in denen sich solche Wohnungsbordelle befinden, geben häufig an, nichts von diesem Treiben gewusst zu haben. Was als unglaubhaft gilt, weil die bezahlten Wohnungspreise als überrissen gelten, als viel zu hoch für den schlechten Ausbaustandard. «Auch die Liegenschaftsbesitzer verdienen also indirekt an der Menschenausbeutung», sagt ein Beobachter.

Die überrissenen Gewinne ermöglichten es den Vermietern zudem, weitere Liegenschaften in marodem Zustand zu erwerben und auch diese an kriminelle Strukturen zu vermieten. Ein Teufelskreis also, der für Quartiere und Städte sehr ungünstige Folgen habe und sich negativ auf ihre Entwicklung auswirke.

Ein Beobachter sagt, dass die Prostituierten in der Regel aus Osteuropa, aus Asien oder Lateinamerika stammen. Sie würden in ihrer Heimat unter falschen Versprechungen angeworben, oft von männlichen Verwandten, fielen Loverboys zum Opfer, manche würden entführt.

Der Berner Fremdenpolizeichef Ott bestätigt, dass die «Anwerbung» der Opfer «in den meisten uns bekannten Fällen durch Täuschung und Ausnutzung von Verletzlichkeit erfolgt». Oft würde eine «emotionale Beziehung zum Opfer aufgebaut, das später in die Zwangsprostitution geschickt wird.» Weiter würden die Betroffenen mit falschen Versprechungen – gut bezahlten Jobs oder lukrativen Ausbildungsmöglichkeiten – in die Schweiz gelockt und hier ausgebeutet. «Die Täterschaft nutzt dabei verstärkt soziale Medien und Online-Plattformen, um mit potenziellen Opfern in Kontakt zu treten und sie anzuwerben», sagt Ott.

Kuriere bringen Opfer in die Schweiz

In die Schweiz gebracht würden die Opfer von «Kurierdiensten», von «Fahrern», sagt eine Person, die sich in der Szene auskennt, aber wie viele andere aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden möchte. In der Schweiz angekommen, würden die Opfer den Zuhältern übergeben, den Betreibern der Wohnungsbordelle, «die sie bestellt haben». Seit der EU-Osterweiterung habe sich das Problem massiv verschärft, man finde heute praktisch keine Schweizerinnen mehr unter den Prostituierten.

Am Empfang in Wohnungsbordellen sitze in der Regel eine «Madame» oder «Rezeptionistin», zahlreiche Handys vor sich. «Wie im Zoo müssen sich die Frauen hinstellen. Die Freier, aus allen Gesellschaftsschichten stammend, können dann auswählen.» Klar sei auch: «Ohne Drogen können die Frauen gar nicht arbeiten. Alkohol, Tabletten, Kokain gehören dazu.» Diese Menschenhändler liefern also offenbar auch Drogen.

Gruppierungen sind «vielfach polykriminell»

Mit einem Nationalen Aktionsplan NAP gehen Bund, Kantone und Städte seit Jahren gegen Menschenhandel vor. Bisher mit mässigem Erfolg. In der dritten Version, dem NAP 2023–2027, steht: «Die Opfer in der Schweiz sind fast alle ausländischer Herkunft. Armut, Perspektivlosigkeit, Gewalt und bewaffnete Konflikte in den Herkunftsstaaten zählen zu den Treibern von Menschenhandel.» Aber auch die liberalen Gesetze in der Schweiz und anderen Gastländern gelten als Treiber.

Die meisten Menschenhändler agieren gemäss NAP «in kleineren Gruppen oder Netzwerken». Aber es gebe «Hinweise auf grössere, gut organisierte kriminelle Strukturen, die den Menschenhandel in der Schweiz meist vom Ausland aus kontrollieren oder unterstützen». Diese Gruppierungen seien «vielfach polykriminell, das heisst, sie sind in weiteren kriminellen Tätigkeiten aktiv.» Und: «Gruppierungen aus dem Balkan kombinieren Menschenhandel typischerweise mit Drogenhandel und Eigentumskriminalität.»

Der Aktionsplan Menschenhandel hat zum Ziel, die Täterinnen und Täter effizienter zu bekämpfen und die Opfer besser zu schützen. Zwischen 2019 und 2021 registrierte die Polizeiliche Kriminalstatistik durchschnittlich 101 Opfer von Menschenhandel und Förderung der Prostitution. Das seien aber nur die Fälle, in denen eine Strafanzeige vorliege. Es sei von «einer hohen Dunkelziffer aufzugehen», steht im NAP.

Bekämpfung nur im Verbund erfolgreich

Die Bekämpfung von Menschenhandel gilt als sehr komplex und schwierig. Laut dem Fremdenpolizeichef Ott ist es wichtig, das international anerkannte Modell der «vier P» konsequent anzuwenden. Das sind: «prevention» (Prävention), «protection» (Schutz der Opfer), «prosecution» (Strafverfolgung) und «partnership» (Zusammenarbeit). Darauf basierend entwickelte die Berner Fremdenpolizei das Zusammenarbeitsmodell «Competo», das mittlerweile Eingang in die Weisungen des Staatssekretariats für Migration (SEM) gefunden habe und eine der Umsetzungsmassnahmen im Aktionsplan NAP III des Bundesamts für Polizei Fedpol sei.

Laut SEM-Weisung gelingen die Bekämpfung von Menschenhandel und der effizienter Schutz der Opfer «nur mit einem multidisziplinären und koordinierten Vorgehen sowie einer effizienten Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungs- und Migrationsbehörden sowie den spezialisierten Fachstellen». Der Leitprozess «Competo» solle eine einheitliche Praxis sicherstellen, Rechtssicherheit schaffen, rechtsgleiche Behandlung gewährleisten und die Strafverfolgung erleichtern.

Problem: Opfer finden, die aussagen

Eine Schwierigkeit besteht darin, Opfer zu finden, die bereit sind, als Zeugen auszusagen. Eine Behördenvertreterin, die mit Prostituierten zu tun hat, sagt: «Diese Frauen wurden durch jahrelange Ausbeutung kaputt gemacht, sie haben Angst, sie vertrauen auch dem Staat nicht.» Nur die wenigsten liessen sich überzeugen, auszusagen. Falls sie das täten, müssten sie an einem sicheren Ort untergebracht werden. Bei den männlichen Opfern auf dem Bau kommt laut Alexander Ott dazu, dass sie sich schämen, weil sie kein Geld mehr in die Heimat schicken können.

Zu den Opfern von Menschenhandel gehören beispielsweise auch Frauen aus China oder Vietnam, die in Nagelstudios für Hungerlöhne arbeiten und zu dritt oder zu viert in einem Zweibettzimmer hausen müssen. Viele sind irregulär hier, können sich deshalb nicht an die Polizei wenden. Ihre Peiniger haben ihnen häufig auch die Ausweise abgenommen.

Zu den Opfern von Menschenhandel gehören auch Menschen aus China oder Vietnam, die in Nagelstudios für Hungerlöhne arbeiten.
Symbolbild: Christina Varveris

Weil die Menschenhändler «Synergien» nutzen, ist naheliegend, dass Asiatinnen, die in Nagelstudios ausgebeutet werden, bisweilen auch als Sexarbeiterinnen ausgebeutet werden. Im Recherchebericht «Glitzernde Nägel, prekäre Umstände» der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) ist denn auch die Rede von «zwei Frauen, die in Deutschland offenbar tagsüber in einem Nagelstudio und in der Nacht als Sexarbeiterinnen arbeiten mussten».

Haushalthilfe ausgebeutet, auch sexuell

In Zürich wurde letztes Jahr ein Paar aus dem Balkan in zweiter Instanz vom Vorwurf des Menschenhandels freigesprochen. Es hatte eine Haushaltshilfe aus demselben Kulturkreis ohne Arbeitsbewilligung beschäftigt, ausgebeutet und bedroht. Der Mann hatte die Frau sexuell genötigt. Weil aber die Betroffene laut Gericht das Haus angeblich jederzeit hätte verlassen können, sprach der Richter das Paar vom Vorwurf des Menschenhandels frei. Solche Urteile machen es noch schwieriger, Opfer zur Aussage gegen ihre Peiniger zu bewegen. Warum solche Urteile? Beobachter sagen: Weil die Gerichte noch zu wenig Erfahrung bei der Anwendung von Artikel 182 im Strafgesetzbuch haben, der Menschenhandel unter Strafe stellt.

Menschenhandel wird laut Strafgesetzbuch mit Haft oder Busse bestraft. Auf Ausnützen sexueller Handlungen beziehungsweise Förderung der Prostitution steht Gefängnis von bis zu zehn Jahren.

Menschenhandel auf dem Bau zieht Kreise

Gerade auf dem Bau ist Menschenhandel ein verbreitetes Phänomen, auch wenn es selten zum Prozess kommt. Doch im März 2023 wurde in Zürich ein besonders krasser, aber auch exemplarischer Fall verhandelt.

Ein Schweizer Bauunternehmer wurde wegen gewerbsmässigen Menschenhandels und Betrugs erstinstanzlich zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er hatte laut Anklage bis zu 100 Arbeitskräfte aus der Republik Moldau, Ungarn und Bulgarien in die Schweiz gelockt, ihnen gute Löhne versprochen, sie hier aber über mehrere Firmen übelst ausgebeutet, ihnen teilweise weniger als einen Franken pro Stunde bezahlt.

Laut «Work-Zeitung» liess er einem Arbeiter ausrichten, er werde ihm «in den Kopf schiessen», falls er noch einmal mit Streik drohe. In einem abgehörten Telefongespräch sagte er: «Die Sieche söttsch all halte wie Sklave, wie imene KZ, vernichte, vergase, das Pack!» Steuern und Sozialversicherungen habe der Mann, der oft als Subunternehmer von Konzernen wie Implenia oder HRS auftrat, nicht abgeliefert.

Im Firmen-Umfeld dieses Bauunternehmers zeigen sich diverse Verbindungen in andere zweifelhafte Szenen. Mindestens eine «Kontaktbar» taucht auf, in der Frauen unter anderem aus Rumänien und Ungarn angeboten werden. Angeblich sind sie «Mieterinnen» in den Räumlichkeiten dieses Sexclubs.

Zum Kreis gehören auch Spielsalons in diversen Städten. Da stehen Automaten, in denen sich Franken und Euro in Bitcoin wechseln lassen. Auch, aber nicht nur an der Zürcher Langstrasse. Auf einer zugehörigen Website steht, dass mit Identitätsprüfung bis zu 100’000 Franken gewechselt werden können. Diese Automaten gelten – davor warnt auch die Finanzmarktaufsicht Finma- als beliebte Waschanlagen für Drogengeld.

Schillernde Sprösslinge schwerreicher Schweizer Familien

Personelle Konstellationen führen auch ins Milieu von Immobilien- und Treuhandfirmen, die Kredite und Finanzierungen vermitteln. Die Szene ist insbesondere mit Teilen der Finanzbranche verbunden. Es fallen hier Akteure auf, die ihre Karriere bei Banken starteten, insbesondere bei Privatbanken in Zürich oder Lugano.

In sozialen Netzwerken zeigen sich Verbindungen in die internationale Geld- und Clubszene im Grossraum Zürich. Dorthin, wo auch viel Kokain im Umlauf ist. Unter den offenbar führenden Akteuren in diesem Milieu fallen auch Sprösslinge schwerreicher Schweizer Familien auf.

Die Szene ist jedenfalls zunehmend vernetzt. Das beobachtet auch Alexander Ott. Er sagt: «Auch bei der Bekämpfung von Menschenhandel gilt es, diese Netzwerke aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten». Statt «Einheiten» träten nunmehr «Vielheiten» in den Fokus der Behörden, wie er sich ausdrückt. Jede dieser «Vielheiten» sei mit anderen verbunden durch «unterirdische», das heisst, nicht sichtbare Netze. Wie Pilze im Wald. «Diese Einheiten bilden Netzwerke, die in legalen, halblegalen und kriminellen Milieus aktiv sind», sagt Ott.

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