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Jugendgericht schlägt Alarm: «Wir laufen auf dem letzten Zacken»

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Mehr Fälle, komplexere Dossiers und immer weniger Zeit für wesentliche Aufgaben: Die drei Freiburger Jugendrichter fordern Verstärkung, um ihre Arbeit auch künftig im Sinne des Gesetzes erledigen zu können. Sie haben ihre Bitte um Aufstockung beim Staatsrat deponiert.

Die gute Nachricht ist: 98 Prozent der Jugendlichen im Kanton Freiburg halten sich an das Gesetz. Die schlechte Nachricht: Die zwei Prozent, mit denen es die Polizei und das Jugendgericht zu tun bekommen, halten diese immer mehr und intensiver auf Trab. Das Jugendgericht Freiburg hat am Mittwoch eine seiner seltenen Medienkonferenzen abgehalten, um auf eine besorgniserregende Situation aufmerksam zu machen.

Höchstwerte vor Corona

So ist die Zahl der Dossiers zwischen 2012 und 2022 von 1342 auf 1850 gestiegen und die Anzahl Jugendlichen, mit denen das Jugendgericht zu tun hatte, in der gleichen Zeit von 1030 auf 1189. Noch höher lagen diese Werte kurz vor Ausbruch der Pandemie. Damals registrierte das Gericht 2162 neue Dossiers und 1331 Jugendliche. Die drei Jugendrichter sind überzeugt, dass es nicht mehr lange geht, bis diese Spitzen wieder erreicht und übertroffen werden, wie Jugendrichterin Sandrine Boillat Zaugg ausführte. Die Prognosen bis Ende 2023 bestätigen den Trend, der seit zehn Jahren festzustellen ist.

Sie führte aus, dass einige Fälle immer mehr Aufwand erfordern. «Der Grund dafür liegt unter anderem darin, dass es immer mehr Jugendliche gibt, die nicht nur eines, sondern mehrere Delikte verüben.» Das könne bis zu 60 verschiedene Straftaten betreffen. Der Aufwärtstrend in Freiburg entspreche auch der Entwicklung auf schweizerischem Niveau. Gestiegen sind die Fälle von Pornografie (+22 Prozent), Tätlichkeiten (+28), einfacher Körperverletzung (+12), Brandstiftung (+15) sowie Verbrechen und Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz (+31).

So sieht die Verteilung der jugendlichen Straftäter nach Region aus.
Aus dem Jahresbericht

Die Jugendrichterin sagt:

Wir sind keine Kriminologen und wissen nicht, warum die Taten zunehmen.

Sie sei persönlich aber davon überzeugt, dass unbedingt mehr Präventionsarbeit nötig sei. Eine weitere Zahl gibt den Jugendrichtern zu denken. Immer mehr Dossiers von Jugendlichen unter 15 Jahren landen auf ihrem Schreibtisch. Zwischen 2021 und 2022 hat diese Zahl um 32,7 Prozent zugenommen (von 321 auf 426). Für das Jugendgericht ist dies eine besorgniserregende Tendenz. Sandrine Boillat Zaugg erzählt von Fällen mit knapp Zehnjährigen, die sich mangels Unwissen der Pornografie schuldig machen. Gerade in diesem Bereich bestehe viel Handlungsbedarf.

Dotation zu tief

«Wir können mit der heutigen Dotation den Grundsätzen des Jugendstrafgesetzes nicht mehr gerecht werden», fasste Jugendrichter Arthur Lehmann zusammen. Das Gesetz sehe vor, dass das Jugendgericht bei seiner Arbeit «den Lebens- und Familienverhältnissen des Jugendlichen sowie der Entwicklung seiner Persönlichkeit besondere Beachtung schenken soll». Es fehle momentan an Zeit für mehr Anhörungen der Jugendlichen, sagte Pierre-Laurent Dougoud:

In diesen persönlichen Gesprächen können wir sie besser erfassen – ihre Stärken und Schwächen und ihre familiäre Situation.

Dies sei deshalb wichtig, weil aufgrund dieser Einschätzung ein individuelles Urteil über die Strafen und Massnahmen gefällt werde (siehe Kasten). Und dies wiederum sei wegweisend für die Zukunft des Jugendlichen – etwa um den Teufelskreis zu durchbrechen, noch stärker auf die schiefe Bahn zu geraten, so Arthur Lehmann: 

Wir sind an einem Kipppunkt angekommen.

Das Jugendgericht laufe derzeit «auf dem letzten Zacken», bald sei es ihm nicht mehr möglich, qualitativ gute Arbeit zu leisten. Heute müssten die Richter aus Zeitgründen häufig aufgrund der Aktenlage entscheiden.

Zusätzliche Einheit gefordert

Die Aufstockung sei auch ein logischer Schritt, nachdem bei der Polizei die Jugendbrigade schrittweise ausgebaut werde. Entsprechend gebe es mehr Anzeigen, die vom Jugendgericht behandelt werden müssten. Das Jugendgericht hat deshalb beim Staatsrat beantragt, dass zusätzlich zu den drei bestehenden «Zellen» eine weitere Einheit für die Bearbeitung der Fälle geschaffen wird. Eine Einheit besteht jeweils aus einer Jugendrichterin, einem Gerichtsschreiber sowie einer Sekretariats- und einer Sozialarbeitsstelle.

Ein Argument für einen Ausbau ist der Vergleich zu anderen Kantonen, die besser dotiert seien: Während in Freiburg eine 100-Prozent-Richterstelle auf 143‘332 Einwohnerinnen und Einwohner komme, liege dieser Wert in Genf bei rund 73‘000, im Wallis bei 93‘000 und in der Waadt bei 137‘000 Einwohnern. Das Jugendgericht Freiburg umfasst derzeit 2,3 Vollzeitstellen mit richterlicher Funktion sowie 13,4 Vollzeitstellen in Gerichtsschreiberei und Sekretariat.

Weitreichende Konsequenzen

Der Appell an die Politik sei nicht einzig darauf ausgelegt, das Jugendgericht zu entlasten, hielt Sandrine Boillat Zaugg fest:

Es geht nicht nur um müde Richter, sondern vor allem um das Wohl der Jugendlichen.

Wenn hier nicht gehandelt werde, müssten die Konsequenzen von der ganzen Gesellschaft getragen werden. «Wir können nicht alle retten», so Arthur Lehmann. «Doch wenn das Geld, das wir für den Ausbau des Jugendgerichts beantragen, in die Prävention gesteckt wird, hätten wir sicher weniger zu tun.»

Kritik an Gesetz

Minderjährige Kriminaltouristen

Jugendrichter Arthur Lehmann machte an der Medienkonferenz vom Mittwoch auf das Problem von unbegleiteten minderjährigen Migranten aufmerksam, die aus den Regionen Magreb oder Sub-Sahara illegal durch die Schweiz reisen. «Sie sind ohne Wohnsitz und nicht Asylsuchende, sondern Kriminaltouristen, die bandenmässig organisiert sind und gewerbsmässig Diebstähle verüben.» Er habe es derzeit mit zwei Fällen zu tun von Banden, die vor allem in Elektrofachgeschäfte einsteigen und teils in sieben Kantonen tätig seien. «Mit dem jetzigen Gesetz kann ich sie nicht angemessen bestrafen», sagt er. Das Gesetz sieht für über 15-Jährige maximal ein Jahr Haft vor. Für unter 15-Jährige zehn Tage Arbeitsleistung. «Da stimmt was nicht, wenn man sieht, dass sie für rund 200’000 Franken Diebesgut ergattern.» Das Gesetz habe diese Art Klientel nicht vorgesehen und müsse deshalb für solche Fälle angepasst werden. «Es ist nicht befriedigend für mich als Richter, wenn mir die Hände gebunden sind. Er geht davon aus, dass sich diese Situation noch verschärfen wird, weil wegen der zunehmenden wirtschaftlichen Not in diesen Ländern noch mehr minderjährige Straftäter aus dem Ausland kommen werden. «Und wir sind nicht darauf vorbereitet.» im

Strafen und Massnahmen

Kaum Plätze für die Unterbringung von Jugendlichen

Für Minderjährige zwischen 10 und 18 Jahren sieht das Gesetz vor, dass das Jugendgericht einerseits eine Strafe in Form eines Verweises, einer persönlichen Leistung, einer Busse oder Haft verhängen kann. Wenn die Strafe als Busse ausgesprochen wird und diese nicht beglichen wird, ordnet es Freiheitsentzug an. Dies ist 2022 bei 15 Minderjährigen der Fall gewesen, im Vorjahr waren es 7 Jugendliche. Das Jugendgericht hat insgesamt 954 Tage unbedingte und 447 Tage bedingte Freiheitsstrafe verhängt.

Die persönliche Leistung kann zum Beispiel ein Arbeitseinsatz in der Küche eines Spitals sein oder in einer Behindertenwerkstatt oder auf einer Alp. Diese Art von Massnahme wird bei den unter 15-Jährigen etwa in zwei Dritteln der Fälle verhängt, bei den über 15-Jährigen bei etwa der Hälfte der Jugendlichen. Letztes Jahr haben Jugendliche 848,5 Tage Arbeitsleitungen erbracht. «Das Jugendgericht kann auf ein wertvolles Netzwerk von Institutionen und freiwilligen Betreuungspersonen zurückgreifen», sagte Pierre Laurent Dougoud. Sie seien wichtig, um den Jugendlichen einen möglichen Alternativweg zur kriminellen Laufbahn aufzuzeigen.

Da Gleiche gelte für Lehrstellen, ergänzte Arthur Lehmann:

Wenn die Wirtschaft gut funktioniert und Lehrstellen zur Verfügung stehen, trägt dies dazu bei, dass weniger Jugendliche bei uns landen.

Bei manchen Jugendlichen, die vorher einen harzigen Weg zu Hause und in der Schule hatten, sei es in der Lehre der Schalter umgelegt worden.»

Diese Urteile hat das Jugendgericht 2022 gefällt.
Aus dem Jahresbericht

Akuter Platzmangel

Parallel zur Strafe kann das Jugendgericht eine Massnahme anordnen – in Form von Aufsicht, persönlicher Betreuung, ambulanter Behandlung oder Unterbringung in einer Institution. Letztere umzusetzen, sei eine grosse Herausforderung, war am Mittwoch vom Jugendgericht zu hören. Es sei schwierig, Jugendliche in einer Institution zu platzieren. Dies könne nötig sein, wenn die eigene Familie die Betreuung des Jugendlichen nicht mehr sicherstellen könne oder wenn sein persönlicher Schutz in Gefahr ist. 2022 hat das Gericht 19-mal eine vorsorgliche Unterbringung verfügt.

Möglich ist als Massnahme ein Aufenthalt in einer offenen oder geschlossenen Einrichtung. «Die Situation ist dramatisch», sagte Pierre-Laurent Dougoud. Es fehle in der gesamten Westschweiz an Plätzen, vor allem in geschlossenen Einrichtungen.» Es bestünden zudem lange Wartelisten, und manchmal dauere es ein Jahr, bis es klappe. Das erhöhe das Risiko, dass die Jugendlichen in der Zwischenzeit wieder Delikte verüben. Das Problem besteht vor allem für französischsprachige Jugendliche. Auch bei deutschsprachigen sei es nicht leicht, doch gebe es mehr Angebote in der Deutschschweiz.

Die Suche nach einer Lösung verschlinge viel Zeit. Rein statistisch machen die deutschsprachigen minderjährigen Straftäterinnen und Straftäter nur gerade zehn Prozent der Fälle aus. Die Vertreter des Jugendgerichts appellierten auch hier an die Politik, mehr Strukturen für diese Jugendlichen zu schaffen und zu finanzieren. im

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